Rz. 88

Im Hinweis unmittelbar vor Beginn der Bedingungen wird explizit erläutert, dass der Versicherungsfall die erstmalige Geltendmachung eines Haftpflichtanspruchs gegen eine versicherte Person während der Dauer des Versicherungsvertrages bedeutet. Entsprechend heißt es wortgleich in Ziff. 2 Satz 1 unter der Überschrift (claims-made-Prinzip). Ferner heißt es in Satz 2 der Ziff. 2: "Im Sinne dieses Vertrages ist ein Haftpflichtanspruch geltend gemacht, wenn …".

An keiner Stelle in den Verbandsempfehlungen des GDV heißt es, der Versicherungsfall ist die "erstmalige (ernsthafte) Geltendmachung …" oder "Im Sinne des Vertrages ist ein Haftpflichtanspruch (ernsthaft) geltend gemacht, wenn …".

Trotzdem besteht unbestreitbar ein Bedürfnis aus Sicht der Versicherungswirtschaft, Fälle an sich nicht gewollter oder nur zum Schein erhobener Inanspruchnahmen vom Versicherungsschutz auszunehmen. In der Praxis sind die verschiedensten Konstellationen anzutreffen. Bisweilen scheuen versicherungsnehmende Unternehmen die öffentliche Geltendmachung – etwa bei über Jahre praktizierten Compliance-Verstößen und gewollten Inanspruchnahmen wegen fahrlässigem Unterlassen der Vorstände –, nicht zuletzt, weil bei der Geltendmachung von Ansprüchen gegen die versicherte Person sehr viel mehr "Abgründiges" zu Tage treten kann, als bis dato in der Öffentlichkeit (oder bei der Staatsanwaltschaft oder den Gerichten oder in den Medien) bekannt werden konnte. Daher verbietet sich im Einzelfall aus Sicht einiger Versicherungsnehmer aus durchaus nachvollziehbaren Gründen eine tatsächliche Inanspruchnahme in der Öffentlichkeit. Lassen sich Versicherer nicht auf Schiedsverfahren – unter Ausschluss der Öffentlichkeit – ein, und sind Schiedsverfahren nicht schon im Vertrag vereinbart, verfolgen Versicherungsnehmer Ansprüche ggf. nicht weiter, oder sie nehmen u.U. eine andere als die zuständige versicherte Person in Anspruch, weil letztere noch in Amt und Würden ist und sich selbst einer strafrechtlichen Verfolgung ausgesetzt sieht, wenn die Inanspruchnahme der Versicherungsnehmerin gegen die versicherte Person, die wirklich etwas pflichtwidrig unterlassen hat, erfolgen würde. Bisweilen sind die versicherten Personen auch in der Lage, ihrerseits den versicherten Unternehmen Schaden zuzufügen, nämlich dann, wenn sie sich als Inanspruchgenommene unter Druck gesetzt fühlen und sich mit Gegendruck und der Androhung von Publikationen über bis dato unbekannte Unternehmensinterna verteidigen. Dann sind "formale Nichtangriffspakte" zwischen versichertem Unternehmen und versicherter Person – wenn auch nur in seltenen Ausnahmefällen (weil mit dem AktG ohnehin nicht vereinbar) denkbar, mit der "inhaltlichen Absprache", dass letztendlich Ansprüche gegenüber der versicherten Person – wirtschaftlich betrachtet – nicht durchgesetzt werden – etwa durch die Vereinbarung, dass sich das geschädigte versicherte Unternehmen nur an der Deckungssumme befriedigen, den darüber hinausgehenden Schaden bei der versicherten Person aber keinesfalls "vollstrecken" werde.

Dann fehlt es – jedenfalls in bestimmten Ausnahmefällen – an einer "ernsthaften Inanspruchnahme" der versicherten Person. Die Frage ist, ob dies mit Sinn und Zweck der D&O-Versicherung in Einklang zu bringen ist und wie sich eine fehlende ernsthafte Inanspruchnahme auswirken kann.

 

Rz. 89

Als ungeschriebene Tatbestandsvoraussetzung wird teilweise für den Eintritt des Versicherungsfalles verlangt, dass eine ernsthafte Inanspruchnahme[253] vorliegen müsse. Zu dieser Prob­lematik ist auf die Entscheidung des OLG Düsseldorf[254] vom 12.7.2013 (Az. I – 4 U 149/11) zu verweisen. Dieser Entscheidung lag der folgende Sachverhalt zugrunde:

Die Klägerin, ein mitversichertes polnisches Tochterunternehmen der bei der Beklagten versicherten deutschen Muttergesellschaft, nahm die Beklagte aus abgetretenem Recht aus einem D&O-Versicherungsvertrag in Anspruch. Sie stützte ihre Klage auf angebliche Pflichtverletzungen des geschäftsführenden Vorstandsmitglieds W im Zusammenhang mit dem Abschluss von Währungsgeschäften im Jahr 2008. Die Klägerin hatte aufgrund ihres Sitzes in Polen den Großteil ihrer Verbindlichkeiten in Zloty gezahlt. Die Zahlungen für ihre in Europa verkauften Produkte hatte sie hingegen in EUR erhalten, so dass sie zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten den Euro-Zahlungsüberschuss in Zloty umtauschen musste. Der erwartete Zahlungsüberschuss in EUR sollte vor Verlusten abgesichert werden. Hierzu schloss die Klägerin Währungsgeschäfte mit der Bank Z. Entgegen den Erwartungen erstarkte der Zloty-Kurs im Laufe des Jahres 2008 nicht, er fiel.

Die Klägerin nahm außergerichtlich zunächst ihren damaligen, zu den versicherten Personen des D&O-Versicherungsvertrags gehörenden Prokuristen wegen angeblich pflichtwidrigen Abschlusses von Währungsgeschäften in Anspruch. Die Pflichtverletzung sollte im "Abschluss von Währungssicherungsgeschäften über das notwendige Maß hinaus" und der "verzögerten Meldung der daraus drohenden Schäde...

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