A. Vergleich: Wesen, Abschluss, Formen, Wirkung

 

Rz. 1

 

§ 779 BGB: Begriff des Vergleichs, Irrtum über die Vergleichsgrundlage

(1) Ein Vertrag, durch den der Streit oder die Ungewissheit der Parteien über ein Rechtsverhältnis im Wege gegenseitigen Nachgebens beseitigt wird (Vergleich), ist unwirksam, wenn der nach dem Inhalt des Vertrages als feststehend zugrunde gelegte Sachverhalt der Wirklichkeit nicht entspricht und der Streit oder die Ungewissheit bei Kenntnis der Sachlage nicht entstanden sein würde.

(2) Der Ungewissheit über ein Rechtsverhältnis steht es gleich, wenn die Verwirklichung eines Anspruchs unsicher ist.

 

§ 278 ZPO: Gütliche Streitbeilegung, Güteverhandlung, Vergleich

(1) Das Gericht soll in jeder Lage des Verfahrens auf eine gütliche Beilegung des Rechtsstreits oder einzelner Streitpunkte bedacht sein. (...)

 

Rz. 2

Der Vergleich ist – unabhängig davon, ob er unmittelbar zwischen den Parteien oder vor Gericht[1] oder als Anwaltsvergleich[2] abgeschlossen wird – ein gegenseitiger Vertrag im Sinne der §§ 320 ff. BGB,[3] jedenfalls dann, wenn, wie dies regelmäßig der Fall ist, voneinander abhängig gegenseitige Pflichten begründet oder festgelegt werden.[4] Es gelten daher für ihn die allgemeinen Vorschriften des BGB über Rechtsgeschäfte, z.B. über die Unwirksamkeit und Anfechtbarkeit §§ 119, 123, 134, 138 und 139 BGB,[5] über Schuldverhältnisse, §§ 242 ff. BGB,[6] und zusätzlich die besondere Vorschrift über die Unwirksamkeit, das heißt Nichtigkeit eines Vergleichs, § 779 BGB.[7]

 

Rz. 3

Das Gegenseitigkeitsverhältnis besteht hinsichtlich des beiderseitigen Nachgebens. Der bestehende Streit soll durch den Vergleich nicht entschieden, sondern beseitigt werden, indem gegenseitige, voneinander abhängige Pflichten festgelegt oder begründet werden. Es genügt ein Nachgeben im kleinsten Punkt.[8] Dazu zählen beispielsweise: Die Kostenregelung, die Umwandlung von Kapital in Rente,[9] das Schaffen eines vollstreckbaren Titels,[10] auch nur der Verzicht auf eine besondere Möglichkeit,[11] insbesondere auch der Verzicht auf die Erwirkung eines vollstreckbaren Titels.[12] Das für einen Vergleich erforderliche beiderseitige Nachgeben kann auch darin bestehen, dass eine der Parteien die von der anderen geltend gemachte Forderung in vollem Umfang anerkennt und diese ihr dafür Zahlungserleichterungen gewährt.[13] Kein Nachgeben ist die bloße "Abrechnung" des vom Schädiger für objektiv gerechtfertigt gehaltenen Betrages unter Abstrichen von Mehrforderungen des Geschädigten.[14] Kein Vergleich liegt vor, wenn der Schuldner zur Klaglosstellung bedingungslos einen Betrag zahlt; ferner nicht, wenn bei unbestrittener Schadensforderung dem Grunde nach der Versicherer einen für gerechtfertigt erachteten Schadensbetrag auszahlt und der Geschädigte diesen Betrag anerkennt.[15]

 

Rz. 4

Ein Vergleich ist regelmäßig formlos wirksam. Er kann auch konkludent zustande kommen, z.B. durch jahrelange Entgegennahme von Rentenzahlungen, die entsprechend einem unterbreiteten Vergleichsangebot erbracht wurden.[16] Er kann mündlich an der Unfallstelle geschlossen werden.[17] Enthält ein Vergleich ein formbedürftiges Verpflichtungs- oder Erfüllungsgeschäft, so gilt der Formzwang auch, soweit diese Geschäfte vergleichshalber vorgenommen werden. Dagegen ersetzt ein Prozessvergleich[18] jede nach BGB erforderliche Form, § 127a BGB, selbst wenn in dem Vergleichsprotokoll der Vermerk fehlt, dass die Erklärungen vorgelesen und genehmigt worden sind.[19] Diese Gleichwertigkeit mit notarieller Beurkundung gilt allerdings nicht für den Anwaltsvergleich gem. § 796a ZPO, für den § 127a BGB keine Anwendung findet.[20]

 

Rz. 5

Ein Vergleich hat in der Regel keine Schuld umschaffende Wirkung.[21] Es wird nicht die alte Forderung durch eine neue ersetzt. Das ursprüngliche Rechtsverhältnis wird durch einen Vergleich nur insoweit verändert, als er streitige oder ungewisse Punkte regelt, im Übrigen lässt er es nach Rechtsnatur und Inhalt unverändert. Dies gilt grundsätzlich auch für Prozessvergleiche.[22] Ein neuer Schuldgrund wird nur bei einem durch Auslegung zu ermittelnden entsprechenden Parteiwillen geschaffen.[23] Ein von der Regel abweichender Parteiwille, das Vertragsverhältnis neu zu regeln und durch Erfüllung neuer Verpflichtungen einvernehmlich zu beenden, kann z.B. angenommen werden, wenn zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses der Anspruch einer Partei bereits verjährt war.[24] Insbesondere ein Vergleich, durch den lediglich der Streit über eine einzelne Einwendung im Wege gegenseitigen Nachgebens beigelegt wird, hat in der Regel nach dem Willen der Parteien keine das streitige Schuldverhältnis ersetzende (Schuld umschaffende), sondern lediglich Schuld bestätigende oder ändernde Wirkung. Ein ausnahmsweise neu begründetes Schuldverhältnis kann beispielsweise in einem neuen selbstständigen Schuldversprechen[25] liegen, oder in der Umwandlung des Anspruchs in eine Darlehensforderung.[26] Ein Vergleich kann über das streitige Rechtsverhältnis hinaus erstreckt werden auf weitere oder alle Rechtsbeziehungen...

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