I. Typischer Sachverhalt

 

Rz. 23

Ein Softwarehersteller schließt mit einem Vertriebsunternehmen einen Vertrag über die Herstellung von Vervielfältigungsstücken einer Software sowie den anschließenden Vertrieb der Vervielfältigungsstücke.

Innerhalb dieser grundsätzlichen Gestaltung werden dabei in der Praxis eine Reihe sehr unterschiedlicher Vertriebsbindungen vereinbart, die zum Beispiel vorsehen, dass die Software schon vom Händler auf bestimmten Geräten installiert wird, dass der Händler nur ein bestimmtes Vertragsgebiet bedienen wird oder aber dass die Software nur einem bestimmten Anwenderkreis zugänglich gemacht wird (z.B. "Schulversion").

II. Rechtliche Grundlagen

1. Vertragsrechtliche Überlegungen

 

Rz. 24

Computerprogramme sind regelmäßig urheberrechtlich geschützt (vgl. Rdn 3). Dieser Schutz von Computerprogrammen durch das Urheberrecht schafft für den Rechtsinhaber insb. dadurch eine wirtschaftlich verwertbare Stellung, dass diesem zugleich Möglichkeiten eingeräumt werden, über die gewährten Rechtspositionen zu verfügen. Damit kann der Urheber dem Erwerber eine gegenständliche, gegenüber Dritten gesicherte Rechtsposition verschaffen: Der Urheber kann Nutzungsrechte hinsichtlich einzelner oder mehrerer, im Extremfall hinsichtlich aller Verwertungsrechte konstitutiv als Tochterrechte einräumen.[47]

Soll der Händler nicht lediglich die Software durchliefern, sondern erhält er ein Exemplar, von dem er weitere Vervielfältigungsstücke herstellen und diese vertreiben soll, müssen entsprechende Nutzungsrechte eingeräumt werden. Es handelt sich um einen echten (urheberrechtlichen) Lizenzvertrag.[48]

[47] Diese Nutzungsrechte haben den Charakter eines gegenständlichen (quasidinglichen) Rechts. Die Einräumung des gegenständlichen Nutzungsrechts bildet ein Verfügungsgeschäft, das von dem zugrunde liegenden Verpflichtungsgeschäft unterschieden werden muss (Trennungsprinzip): grundlegend BGH GRUR 1958, 504; dazu Schricker/Loewenheim/Ohly, § 29 Rn 23.
[48] Lizenzverträge sind solche Verträge, bei denen sich der eine Vertragsteil verpflichtet, den Gebrauch eines geistigen Gutes in einem gewissen Umfang zu ermöglichen und die dazu ggf. erforderlichen Rechte einzuräumen, ohne sich allerdings des Immaterialguts selbst ganz zu entäußern, Forkel, ZHR 155 (1989), 511, 521; ähnlich Martinek, Franchising 1987, S. 191, 267.

2. Gewährleistung bei Vertriebslizenzverträgen

 

Rz. 25

Der Lizenzgeber muss dem Lizenznehmer nicht nur für den Bestand der Vertriebsrechte, sondern grundsätzlich auch in bestimmtem Umfang für sog. Beschaffenheitsmängel[49] des Immaterialgutes einstehen. Dies ist bei der Vertragsgestaltung und auch bei der Bewertung der Risikostruktur von Vertriebslizenzverträgen zu berücksichtigen.

Beschaffenheitsmängel stellen dabei solche Mängel dar, in denen das Immaterialgut selbst mängelbehaftet ist, dieser Mangel aber den Bestand des Schutzrechts selbst unberührt lässt. Erfasst werden damit insb. solche Mängel, die zu Einschränkungen der Tauglichkeit des aufgrund der eingeräumten Rechte zu produzierenden Vertragsprodukts (hier: Programmkopie) führen.

Wichtige Anhaltspunkte für die Risikoverteilung im Hinblick auf das Einstehenmüssen für derartige Beschaffenheitsmängel des Immaterialgutes bietet das Sachmängelgewährleistungsrecht desjenigen Vertragstyps, zu dem der jeweilige Lizenzvertrag die weitestreichenden Parallelen aufweist,[50] wobei Unterschiede in der Risikostruktur zwischen dem Lizenzvertrag und ähnlichen gesetzlichen Vertragstypen jedoch stets zu berücksichtigen sind.[51]

[49] Terminologie nach Haedicke, Rechtskauf und Rechtsmängelhaftung, S. 228.
[50] Vgl. dazu auch Schulz, Rn 987 f.
[51] So auch Pres, S. 201 f.

3. Aufspaltung von Vertriebswegen und Vertriebsbeschränkungen

 

Rz. 26

Hersteller von Software versuchen häufig, Vertriebswege für ihre Computerprogramme inhaltlich zu trennen (OEM, Schulversion, Vollversion als Update), um dadurch eine stärkere Preisdifferenzierung zu ermöglichen. Eine Einräumung entsprechend beschränkter Nutzungsrechte gem. § 31 UrhG und damit die urheberrechtlich-dingliche Aufspaltung der Vertriebswege ist dabei allerdings nur beschränkt möglich: Eine dingliche Aufspaltung kommt nur in Betracht, wenn es sich um übliche, technisch und wirtschaftlich eigenständige und damit klar abgrenzbare Nutzungsformen handelt.[52] Den OEM-Vertrieb – also den Vertrieb der Software nur zusammen mit einem neuen PC – hat der BGH nicht als entsprechend eigenständige Nutzungsart erkannt; der Hersteller bleibt insoweit auf die Möglichkeit schuldrechtlicher Abreden beschränkt.[53]

Vertriebslizenzvereinbarungen sind vielfach dadurch gekennzeichnet, dass sie teilweise dem Absatzmittler, teilweise auch dem Softwareunternehmen, Verhaltensbeschränkungen auferlegen, die potentiell wettbewerbsbeschränkend wirken können: Vertriebs-, insb. Preisbindungen, Einsatzbeschränkungen, Kundenkreisbeschränkungen etc.[54] In diesem Zusammenhang ist allgemein zu berücksichtigen, dass die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 316/2014 für Technologietransfer[55]-Vereinbarungen und die Gruppenfreistellungsverordnung Nr. 330/2010 für den Vertikalvertrieb Anwendung finden können.[56] Die am 1.6.2010 in Kraft getretene Gruppenfreistell...

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