Rz. 119

Viele Rechtsordnungen vor allem im anglo-amerikanischen Rechtskreis kennen kein Pflichtteilsrecht (Ausnahme: Louisiana und Puerto Rico). Hinterlässt z.B. ein US-Amerikaner bewegliches Vermögen in Deutschland, stünde seinen Abkömmlingen kein Pflichtteilsanspruch zu. Hier stellt sich die Frage, ob diesem Ergebnis der ordre public entgegensteht. Der BGH hat dies nunmehr für eine spezielle Fallkonstellation entschieden:

BGH NJW 2022, 2547:

Zitat

Die Anwendung des gem. Art. 22 Abs. 1 EuErbVO gewählten englischen Erbrechts verstößt jedenfalls dann gegen den deutschen ordre public im Sinne von Art. 35 EuErbVO, wenn sie dazu führt, dass bei einem Sachverhalt mit hinreichend starkem Inlandsbezug kein bedarfsunabhängiger Pflichtteilsanspruch eines Kindes besteht.

Offengelassen hat diese Frage der OGH Wien:[156]

Zitat

Es verstößt im Allgemeinen nicht gegen den österreichischen ordre public, wenn das von der EuErbVO berufene Erbrecht keine vom Bedarf unabhängigen Pflichtteilsansprüche von Nachkommen vorsieht. Ob dies auch zutrifft, wenn der Sachverhalt eine besonders enge Beziehung zum Inland aufweist, bleibt offen.

Ausdrücklich verneint wurde ein Verstoß gegen den ordre public vom OLG Köln[157] – allerdings in einem besonders gelagerten Fall – ohne nähere Begründung mit bloßem Hinweis auf RG JW 1912, 22.

In der Literatur wird teilweise[158] differenziert: Grundsätzlich ist die Versagung des Pflichtteilsrechts durch die ausländische Rechtsordnung zu respektieren, eine Ausnahme soll jedoch dann gelten, wenn der Pflichtteilsberechtigte der deutschen Sozialhilfe zur Last fallen würde. Andere[159] halten es "für nicht mehr hinnehmbar", den Pflichtteil zu Lasten eines minderjährigen oder bedürftigen Kindes zu entziehen, es sei denn, dass eine Kompensation – etwa durch Unterhaltsansprüche wie im englischen Recht – erfolgt.

[156] OGH Wien ZEV 2021, 722.
[157] OLG Köln FamRZ 1976, 170.
[158] MüKo/Birk, 5. Aufl. 2010, Art. 25 EGBGB Rn 111.
[159] Staudinger/Dörner, Art. 25 EGBGB Rn 695.

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