Rz. 39

Nur ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht rechtfertigt eine Fahrtenbuchauflage.[97] Wird nur ein einmaliger, unwesentlicher Verstoß festgestellt, der sich weder verkehrsgefährdend auswirken kann, noch Rückschlüsse auf die charakterliche Unzuverlässigkeit des Kraftfahrers zulässt, ist die Fahrtenbuchauflage nicht gerechtfertigt.[98] Ein Rechtssatz, dass bei einem erstmaligen Verkehrsverstoß von einigem Gewicht zunächst die Androhung der Fahrtenbuchauflage notwendig und ausreichend ist, existiert aber nicht.[99] Die bloße Androhung einer Fahrtenbuchauflage für den Fall einer erneuten Zuwiderhandlung, bei der der verantwortliche Fahrzeugführer nicht festgestellt werden kann, ist unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit auch kein milderes, ebenfalls in Betracht kommendes Mittel.[100]

Die Wesentlichkeit des Verstoßes hängt nicht davon ab, ob dieser zu einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer geführt hat.[101] Ob ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht vorliegt, ist eine Frage, die sich einer generellen Klärung entzieht und nach den Umständen des Einzelfalles zu beantworten ist.[102]

 

Rz. 40

Die Frage, ob ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht ist, orientiert sich am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.[103] Dabei ist ein wesentlicher Verkehrsverstoß nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig bereits dann anzunehmen, wenn er nach § 40 FeV i.V.m. der Anlage 13 zur FeV in der bis zum 30.4.2014 geltenden Fassung (Fassung vom 13.12.2010) zu einer Eintragung mit mindestens einem Punkt im Verkehrszentralregister führt.[104]

 

Rz. 41

Dies gilt umso mehr nach der Reform des Punktsystems mit der Neuregelung zum 1.5.2014,[105] wonach Punkte nur noch für Verstöße vergeben werden, die die Verkehrssicherheit beeinträchtigen.[106]

Mit der "Punktereform" hat der Gesetzgeber entschieden, dass das Verkehrszentralregister durch das Fahreignungsregister abgelöst wird. Ein Verkehrsverstoß von einigem Gewicht liegt danach vor, wenn die Verkehrsordnungswidrigkeit nach dem neuen Fahreignungsbewertungssystem mit einem Punkt geahndet werden kann.

Wenn nämlich nach dem früheren Punktsystem (Entziehung der FE bei 18 Punkten) eine Fahrtenbuchauflage möglich gewesen wäre, so gilt dies erst recht für das ab 1.5.2014 gültige Fahreignungsbewertungssystem (Entziehung der FE bei acht oder mehr Punkten im Fahreignungsregister, § 4 Abs. 5 S. 1 Nr. 3 StVG i.d.F. v. 28.8.2013). Kann danach der Verkehrsverstoß mit einem Punkt geahndet werden, liegt ein wesentlicher Verkehrsverstoß vor, da ja gerade nur noch solche Verkehrsverstöße mit einem Punkt bedroht sind, die im Zusammenhang mit der Verkehrssicherheit stehen.[107][108]

 

Rz. 42

Ob bei dieser Neujustierung und Neugewichtung der Punkte eine Fahrtenbuchanordnung auch schon bei einem Verkehrsverstoß in Betracht kommt, der noch nicht zu einer Eintragung im Fahreignungsregister geführt hat, wird am Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu messen sein.[109]

 

Rz. 43

Auch die erstmalige Begehung eines Verkehrsverstoßes, der nach Anlage 13 der FeV mit wenigstens einem Punkt erfasst wird, ist ausreichende Grundlage für die Anordnung der Fahrtenbuchauflage von sechs Monaten, ohne dass es einer Feststellung der näheren Umstände der Ordnungswidrigkeit bedarf.[110]

Begründet wird dies mit der gesetzlichen Bewertung durch die FeV. Damit ist für die Frage der Verhältnismäßigkeit einer Fahrtenbuchauflage und für die Einstufung der Schwere eines Verkehrsverstoßes auf das Punktsystem in Anlage 13 zur FeV zurückzugreifen.[111]

 

Rz. 44

Eine Geschwindigkeitsüberschreitung um über 20 km/h stellt einen hinreichend gewichtigen Verkehrsverstoß dar, um eine Fahrtenbuchauflage jedenfalls für die angeordnete Dauer von drei Monaten auch unter dem Blickwinkel des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu rechtfertigen. Dabei kommt es auf die besonderen Umstände des Einzelfalles, wie etwa die konkrete Gefährlichkeit des Verkehrsverstoßes, nicht an.[112]

 

Rz. 45

Auch nicht aufklärbare Verkehrsstraftaten erfüllen die Voraussetzungen zum Erlass einer Fahrtenbauchanordnung. Bestreitet der Halter eines Fahrzeugs, der ein Fahrtenbuch führen soll, es habe sich ein Verkehrsverstoß ereignet, so muss er – soll seinem Vortrag gefolgt werden – substantiierte Angaben machen, die seine Schilderung plausibel erscheinen lassen.[113] Soweit im Rahmen einer Unfallflucht argumentiert wird, der Fahrer habe angesichts des Geschehensablaufs nichts davon mitbekommen müssen, dass am entgegenkommenden Kfz ein Schaden entstanden sei, also eine Unfallsituation i.S.d. § 142 StGB vorgelegen habe, verfängt dies nicht. Für die Verhängung einer Fahrtenbuchanordnung reicht aus, dass der objektive Tatbestand des § 142 Abs. 1 StGB erfüllt ist. Auf Feststellungen zum Vorsatz kommt es nicht an, da derartige Feststellungen die Ermittlung des Täters voraussetzen und die Fahrtenbuchauflage gerade dazu dienen soll, diese Voraussetzung in künftigen Fällen zu erfüllen.[114]

 

Rz. 46

Weitere Fälle:

Lückenspringen auf der BAB.[115]
Die Missachtung des Zeichens 276 (Überholverbot...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge