Rz. 26

Ist der Halter im gesamten Bußgeldverfahren lediglich als Zeuge gehört worden, folgt eine Rechtswidrigkeit der Fahrtenbuchanordnung nicht daraus, dass ihm als Zeuge im Bußgeldverfahren keine Akteneinsicht gewährt worden ist. Nach § 46 Abs. 1 OWiG gelten für das Bußgeldverfahren, soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, sinngemäß die Vorschriften der allgemeinen Gesetze über das Strafverfahren, namentlich der StPO. Damit gilt auch § 68b StPO, der den Zeugenbeistand regelt. Nach § 68b Abs. 1 S. 1 StPO können sich Zeugen eines anwaltlichen Beistands bedienen. Nach § 68b Abs. 1 S. 2 StPO kann einem zur Vernehmung des Zeugen erschienenen anwaltlichen Beistands die Anwesenheit gestattet werden. Nach allgemeiner Auffassung begründet das Recht auf Zeugenbeistandkein eigenständiges Akteneinsichtsrecht.[61] Akteneinsicht muss hier grundsätzlich nicht gewährt werden. Nachdem nämlich festgestellt ist, dass der Halter selbst nicht als Fahrer in Betracht kommt und die Ermittlungen nicht mehr gegen ihn als Beschuldigter geführt wurden, stehen ihm die Rechte gemäß § 55 OWiG in Verbindung mit der StPO und nach § 49 Abs. 1 OWiG nicht mehr zu.[62]

 

Rz. 27

Gleichwohl können, ungeachtet der Problematik um das Recht auf Akteneinsicht für Zeugen im Ordnungswidrigkeitenverfahren (vgl. hierzu § 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 475 StPO), hinreichende Gründe, die einer Einsichtnahme in die, hier in aller Regel nicht sehr umfangreichen, Akten entgegenstehen, nach den Umständen des Einzelfalles entfallen.[63] Auch wenn ein Recht auf Akteneinsicht für Zeugen grundsätzlich nicht besteht,[64] kann die Einsichtnahme in die Akten durch den Rechtsanwalt des Betroffenen nach den Umständen des Einzelfalles dann durchaus geboten sein. Die Akteneinsicht kann sich nämlich im Einzelfall als eine durchaus mögliche und insbesondere aufgrund einer Ankündigung des Bevollmächtigten auch ohne größeren Aufwand zumutbare und angemessene Aufklärungsmaßnahme zur Feststellung des verantwortlichen Kraftfahrzeugführers darstellen. So lässt z.B. allein der Umstand, dass der zugesandte Zeugenfragebogen nicht zurückgesandt, sondern zunächst eine Einsichtnahme in die Ermittlungsakten beantragt wurde, noch nicht den Schluss zu, dass jegliche Mithilfe bei der Aufklärung des Sachverhalts abgelehnt wird. Vielmehr bleibt nach einer mit der beantragten Akteneinsicht verbundenen Ankündigung einer abschließenden Stellungnahme die Frage einer solchen Mitwirkung zunächst noch offen.[65] Die Möglichkeit dieser nach den Umständen des Einzelfalles hier angemessenen und zumutbaren Aufklärungsmaßnahme, die unter Bestimmung einer Äußerungsfrist ohne Schwierigkeiten und ohne zeitliche Verzögerung vor Ablauf der Verjährungsfrist (§ 26 Abs. 3 StVG i.V.m. § 33 Abs. 1 bis Abs. 3 OWiG) noch möglich gewesen sein muss, darf die Behörde ohne erkennbar zureichenden Grund zunächst nicht ungenutzt lassen.[66] Vereitelt die Behörde im Ordnungswidrigkeitenverfahren die Akteneinsicht seitens des Antragstellers als Halter eines Fahrzeugs, so steht dies als Ermittlungsdefizit der Anordnung einer Fahrtenbuchauflage entgegen (siehe hierzu auch unten Rdn 70).[67]

[61] VG Berlin, Urt. v. 25.1.2012 – 11 K 441.11 zu § 46 Abs. 1 OWiG, § 68b Abs. 1 StPO, § 31a Abs. 1 S 1 StVZO unter Hinweis auf Bohnert, OWiG, 3. Auflage [2010], § 46 Rn 55, Radtke/Hohmann, StPO [2011] § 68b Rn 9; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 54. Auflage [2011], § 68b Rn 5, jeweils m.w.N.
[62] VG München, Beschl. v. 9.2.2001 – M 31 S 01.181, juris.
[63] HessVGH Beschl. v. 21.5.2015 – 2 B 4/15, zfs 2015, 472 unter Hinweis auf HessVGH, Beschl. v. 5.3.2008 – 2 TG 2478/07 (unveröffentlicht): "… Nachdem die Antragstellerin vom Regierungspräsidium Kassel als zuständiger Ordnungswidrigkeitenbehörde einen Zeugenfragebogen mit Datum vom 4.5.2007 zu der am 4.4.2007 mit einem auf sie zugelassenen Kfz begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit erhalten hatte, hat sie durch einen von ihr beauftragten Rechtsanwalt unverzüglich Akteneinsicht beantragen lassen. In diesem dem Regierungspräsidium per Telefax am 16.5.2007 zugegangenen Antrag wurde das von dem Verkehrsverstoß angefertigte und dem Zeugenfragebogen beigefügte Geschwindigkeitsmessfoto – zutreffend – als "wenig aussagekräftig" bezeichnet und zusätzlich erklärt: ‘Nach Einsicht in die Akte wird – soweit möglich – die verantwortliche Person benannt.‘ Eine nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung des Regierungspräsidiums Kassel über diese beantragte Akteneinsicht ist der Antragstellerin bzw. ihrem Prozessbevollmächtigten daraufhin nicht mitgeteilt worden. Auch wenn ein Recht auf Akteneinsicht für Zeugen grundsätzlich nicht besteht (vgl. hierzu: Hess. VGH, Beschl. v. 1.4.2004 – 2 UE 2244/03; VG München, Beschl. v. 9.2.2001 – M 31 S 01.181, juris), sind hinreichende Gründe, die einer Einsichtnahme in die hier nicht umfänglichen Akten durch den Bevollmächtigten der Antragstellerin nach den Umständen des Einzelfalles entgegenstanden, nicht erkennbar. Die vom Bevollmächtigten der Antragstellerin beantra...

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