A. Begriff

 

Rz. 1

Im Gegensatz zum Testament als einseitige Verfügung von Todes wegen, § 1937 BGB, steht der Erbvertrag, bei dem entweder beide Vertragsteile oder nur einer eine Verfügung von Todes wegen mit vertraglicher Bindung treffen, § 1941 BGB. Wesentliches Merkmal der Testierfreiheit ist die Möglichkeit, einseitige testamentarische Verfügungen jederzeit frei zu widerrufen. Diese freie Widerruflichkeit gilt für vertraglich angeordnete Verfügungen von Todes wegen nicht. Hierin liegt eine Ausnahme vom Verbot des § 2302 BGB, wonach ein Vertrag, durch den sich jemand verpflichtet, eine Verfügung von Todes wegen zu errichten oder nicht zu errichten, aufzuheben oder nicht aufzuheben, nichtig ist.

 

Rz. 2

Die Rechtsnatur des Erbvertrags wird von zwei Elementen geprägt: Einerseits trifft der Erblasser eine Verfügung von Todes wegen; andererseits wird diese Verfügung im Einverständnis mit dem Vertragspartner getroffen. Bereits zu Lebzeiten des Erblassers tritt für ihn eine vertragliche Bindung ein, und zwar mit dem Abschluss des Beurkundungsvorgangs. Auf der einen Seite steht die höchstpersönliche Verfügung von Todes wegen, auf der anderen Seite finden sich Elemente eines zweiseitigen Vertrags. Aus diesem Grund spricht man auch von der "Doppelnatur" des Erbvertrags.[1] Weil aber die Wirkungen der Verfügung von Todes wegen erst mit dem Tod des Erblassers eintreten, wird der Erbvertrag auch als "Vertrag sui generis" gekennzeichnet.[2] Damit wird gleichzeitig klargestellt, dass die Vorschriften des BGB für schuldrechtliche Verträge einschließlich der Vorschriften über gegenseitige Verträge nicht anwendbar sind.[3] Auch wenn sich die Vertragschließenden – häufig Ehegatten – gegenseitig zu Erben einsetzen oder wenn einerseits der Erblasser eine Person zum Erben einsetzt und diese Person andererseits eine Verpflichtung zur Erbringung einer Leistung zu Lebzeiten verspricht, so finden die schuldrechtlichen Vorschriften auf den Erbvertrag dennoch keine Anwendung. Denkbar wäre in einem solchen Fall allenfalls eine Verbindung der beiden Verträge nach § 139 BGB, falls ein entsprechender Parteiwille festgestellt werden kann. Zum Rücktrittsrecht des Erblassers bei Ausbleiben der Gegenleistung vgl. Rdn 9, 124 ff.

 

Rz. 3

Weitere Folgen der vertraglichen Bindung des Erblassers sind:

Die vertragsmäßig getroffenen Verfügungen können nicht einseitig widerrufen werden (Ausnahme: Anfechtung und Rücktritt).
Der Erblasser kann keine anders lautende Verfügung von Todes wegen mehr errichten (§ 2289 Abs. 1 BGB).

Die vertragsmäßige Verfügung von Todes wegen kann entweder zugunsten des Vertragspartners oder zugunsten eines Dritten erfolgen, § 1941 Abs. 2 BGB.

 

Rz. 4

Der Erbvertrag kann zwischen fremden Personen geschlossen werden, ist also – anders als das gemeinschaftliche Testament – nicht auf Ehegatten oder eingetragene Lebenspartner beschränkt. Von den mehreren fremden Personen kann jede oder nur eine als Erblasser handeln.

 

Rz. 5

 

Praxishinweis

Nicht jede Rechtsordnung hat sich so extrem komplizierte Regeln wie die der vertraglichen letztwilligen Verfügungen zu Eigen gemacht. Die zum romanischen Rechtskreis gehörenden Staaten kennen in der Regel weder den Erbvertrag noch das gemeinschaftliche Testament. Daher ist immer Vorsicht geboten, wenn ein Staatsangehöriger aus diesem Rechtskreis ein gemeinschaftliches Testament oder einen Erbvertrag als Erblasser errichten will. Ein Verstoß gegen das Verbot gemeinschaftlicher letztwilliger Verfügungen hätte in aller Regel deren Formnichtigkeit zur Folge. Zur seit dem 17.8.2015 anzuwendenden EuErbVO vgl. § 26 in diesem Buch.

[1] MüKo/Musielak, vor § 2274 Rn 2; Keim, in: Hausmann/Hohloch, Handbuch des Erbrechts, 2. Auflage 2010, Kap. 8 Rn 2, S. 645.
[2] Nolting, JA 1993, 129.
[3] Leipold, Rn 496.

B. Arten von Erbverträgen

 

Rz. 6

Man unterscheidet einseitige Erbverträge sowie zwei- oder mehrseitige Erbverträge.

I. Einseitiger Erbvertrag

1. Ausgangssituation

 

Rz. 7

Wenn nur ein Vertragsteil eine Verfügung von Todes wegen trifft, der andere Vertragsteil aber nicht, spricht man vom einseitigen Erbvertrag. Diese Art von Erbverträgen wird häufig in der Form geschlossen, dass sich ein Teil verpflichtet, den Erblasser lebenslang zu pflegen, und der Erblasser dafür den anderen vertraglich zum Erben einsetzt. Ein solcher Vertrag enthält eine schuldrechtliche Verpflichtung als Gegenleistung für die Erbeinsetzung.

Die vertraglich begründeten Pflegeverpflichtungen beziehen sich auf Sachleistungen (Dienstleistungen). Für die Bewertung der Leistungsverpflichtung(en) kann – soweit sich kein anderer Anhaltspunkt aus dem Vertrag ergibt – auf die Werte nach dem Pflegeversicherungsgesetz abgestellt werden.[4] Dass eine vertragsmäßige Erbeinsetzung "mit Rücksicht" auf eine in einem gesonderten Überlassungsvertrag enthaltene Unterhaltsverpflichtung des Bedachten vorgenommen wurde, kann regelmäßig nicht allein aus dem Umstand geschlossen werden, dass beide Verträge am gleichen Tag abgeschlossen wurden.[5]

[4] OFD Koblenz DStR 1996, 786; OLG Stuttgart v. 30.8.2007 – 19 U 27/07, BeckRS 2008, 8173.

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