Rz. 410

Da das Europäische Nachlasszeugnis nicht an die Stelle des deutschen Erbscheins tritt, sondern beide nach Art. 69 Abs. 3 EuErbVO nebeneinander existieren, stellt sich die Frage, wie dieses Nebeneinander ausgestaltet ist und welche Risiken sich daraus ergeben.

 

Rz. 411

Der bereits zitierte Erwägungsgrund 67 EuErbVO (siehe Rdn 354) geht von der Anwendung des Subsidiaritätsprinzips aus, sodass es naheliegt, dem deutschen Erbschein Vorrang einzuräumen. Allerdings findet diese Ansicht keine Stütze in der Verordnung selbst, steht vielmehr dem Ziel einer effizienten Abwicklung des Nachlasses entgegen. Die Verordnung enthält keine Regelung, wonach das Zeugnis bei Vorliegen eines Erbscheins nicht bzw. nur nach dessen Aufhebung ausgestellt werden darf, sodass von einer gleichrangigen Koexistenz auszugehen ist.[319]

 

Rz. 412

Aus der gleichrangigen Koexistenz entstehen Konflikte, die einer Lösung zugeführt werden müssen. Die Gefahr einer inhaltlichen Divergenz besteht insoweit, dass bspw. beide Nachweise unterschiedliche Erben ausweisen könnten. Die Verordnung wirkt der inhaltlichen Divergenz der beiden Erbnachweise entgegen:[320]

Gleichlauf: Beide Erbnachweise sollen an dieselben örtlichen Zuständigkeitsregeln anknüpfen.
Art. 65 Abs. 3 Buchst. g EuErbVO verpflichtet den Antragsteller zur Angabe, ob eine andere Stelle bereits befasst ist oder war.
Sind zwei Verfahren, die miteinander zusammenhängen, bei unterschiedlichen Gerichten anhängig, kann das später angerufene Gericht nach Art. 18 Abs. 1 EuErbVO das Verfahren aussetzen (Art. 17 EuErbVO ist nicht einschlägig, weil es sich nicht um denselben Anspruch zwischen denselben Parteien handelt).
Nach Art. 67 Abs. 1 UAbs. 2 Buchst. b EuErbVO darf das Europäische Nachlasszeugnis nicht ausgestellt werden, wenn es mit einem zuvor erteilten deutschen Erbschein unvereinbar wäre.
Soweit das Europäische Nachlasszeugnis zu einem Erbschein in Widerspruch steht, ist seine Vermutungswirkung nach Art. 69 Abs. 2 EuErbVO und diejenige des Erbscheins aufgehoben.[321]
Gleiches gilt für die Gutglaubenswirkung des Art. 69 Abs. 2, 3 EuErbVO, weil diese akzessorisch zur Vermutungswirkung ist.[322]
Auch die Legitimationswirkung zur Vornahme von Registereinträgen ist jeweils aufgehoben, Art. 69 Abs. 5 EuErbVO.
[319] Dutta/Weber/Fornasier, EuErbVO, Art. 62 Rn 11.
[320] Dutta/Weber/Fornasier, EuErbVO, Art. 62 Rn 12 ff.
[321] JurisPK-BGB/Kleinschmidt, EuErbVO, Art. 62 Rn 50.
[322] JurisPK-BGB/Kleinschmidt, EuErbVO, Art. 62 Rn 51.

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