1. Allgemeines

 

Rz. 245

Ein Erbschein ist dann unrichtig, wenn entweder die Voraussetzungen für seine Erteilung von Anfang an nicht vorgelegen haben oder wenn nach seiner Erteilung aufgrund neuer Tatsachen die Voraussetzungen für seine Erteilung weggefallen sind.[193]

Die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen sind grundsätzlich dann als nicht mehr festgestellt zu erachten, wenn die Überzeugung des Gerichtes von der Richtigkeit des Erbscheins über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist.[194]

Zu unterscheiden sind die formelle und materielle Unrichtigkeit.

[193] BGH, Beschl. v. 5.7.1963 – V ZB 7/63, Rn 12, BGHZ 40, 56.
[194] LG Berlin, Beschl. v. 17.4.2008 – 83 T 50/07, Rn 17, ZErb 2008, 326.

2. Formelle Unrichtigkeit

 

Rz. 246

Selbst wenn ein Erbschein inhaltlich richtig ist, kann er aus formellen Gründen, also dann, wenn er verfahrensrechtlich nicht hätte erteilt werden dürfen, unrichtig sein. Allerdings wird dies nur bei gravierenden Verfahrensfehlern angenommen.[195] Gründe für eine formelle Unrichtigkeit können sein:

Fehlender Erbscheinsantrag. Allerdings kann ein Antragsberechtigter die Erteilung nachträglich genehmigen.
Örtliche Unzuständigkeit des den Erbschein erteilenden Nachlassgerichts. In einem solchen Fall muss verhindert werden, dass von dem tatsächlich zuständigen Gericht ein weiterer Erbschein – mit möglicherweise abweichendem Inhalt – erteilt wird. Trotz der Vorschrift des § 2 Abs. 3 FamFG ist der Erbschein einzuziehen.[196]
Funktionelle Unzuständigkeit des Rechtspflegers. Erteilt der Rechtspfleger einen Erbschein, obwohl er dazu funktionell nicht zuständig gewesen wäre, ist der Erbschein auch dann einzuziehen, wenn nach § 16 Abs. 2 RPflG der Richter die Aufgabe dem Rechtspfleger hätte übertragen können.[197]
Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 GG) führt nicht zur Einziehung des Erbscheins, weil der Mangel durch Nachholung geheilt werden kann.
Unrichtige Angabe des Berufungsgrundes im Erbschein führt nicht zu dessen Einziehung, sondern zur Berichtigung analog § 319 Abs. 1 ZPO.[198]
[195] Palandt/Weidlich, § 2361 Rn 3.
[196] BayObLG, Beschl. v. 8.12.1980 – 1 Z 96/80, Rpfleger 1981, 113.
[197] Palandt/Weidlich, § 2361 Rn 3.
[198] LG Koblenz, Beschl. v. 19.6.2000 – 2 T 267/00, Rpfleger 2000, 502.

3. Materielle Unrichtigkeit

 

Rz. 247

Materielle Unrichtigkeit liegt vor, wenn die materielle Rechtslage einerseits und das im Erbschein bezeugte Erbrecht andererseits nicht übereinstimmen. Beispiele hierfür sind der Erbschein des Vorerben nach Eintritt des Nacherbfalls oder das Auffinden eines Testaments, das die Erbfolge anders regelt, als sie im Erbschein genannt ist.

 

Rz. 248

Eine zur Einziehung verpflichtende Unrichtigkeit eines Erbscheins gem. § 2361 Abs. 1 BGB liegt vor, wenn die Voraussetzungen für seine Erteilung schon ursprünglich nicht gegeben waren oder nachträglich nicht mehr vorhanden sind. Die für die Erteilung des Erbscheins erforderlichen Tatsachen sind grundsätzlich dann als nicht mehr festgestellt zu erachten, wenn die Überzeugung des Gerichtes von der Richtigkeit des Erbscheins über einen bloßen Zweifel hinaus erschüttert ist.[199]

 

Rz. 249

 

Formulierungsbeispiel: Antrag auf Einziehung eines Erbscheins

An das

Amtsgericht

– Nachlassgericht –

(…)

zu Az. (…)

In der Nachlasssache des am (…) verstorbenen Herrn (…) beantrage ich unter Beifügung einer schriftlichen Vollmacht namens des von mir vertretenen Herrn (…), den vom Nachlassgericht (…) am (…) unter Aktenzeichen (…) erteilten Erbschein wegen nachträglich eingetretener Unrichtigkeit einzuziehen und alle erteilten Ausfertigungen zu den Akten zu nehmen.

Begründung:

In oben genannter Nachlasssache hat das Nachlassgericht einen Erbschein erteilt, wonach die Witwe des Erblassers alleinige befreite Vorerbin wurde und die Kinder, Frau (…) und Herr (…), – Letzterer ist der Antragsteller im vorliegenden Verfahren – Nacherben je zur Hälfte.

Der Nacherbfall sollte mit der Wiederverheiratung der Witwe, spätestens jedoch mit ihrem Tod, eintreten. Die Witwe, Frau (…), hat sich am (…) wiederverheiratet. Es wird gebeten, ihr aufzugeben, die Heiratsurkunde vorzulegen.

Da der Erbschein damit unrichtig geworden ist, ist er gem. § 2361 BGB nicht nur auf Antrag, sondern von Amts wegen einzuziehen.

Der Erbschein war erteilt worden auf der Grundlage des eigenhändigen gemeinschaftlichen Testaments, das vom Erblasser und seiner späteren Witwe formgültig errichtet worden war.

Der Antragsteller hat keine Ausfertigung des Erbscheins in Händen, sondern lediglich eine unbeglaubigte Fotokopie.

Die Nacherben haben mit gesondertem Schriftsatz die Erteilung eines neuen, der jetzigen Rechtslage entsprechenden Erbscheins beantragt.

(Rechtsanwalt)

[199] LG Berlin, Beschl. v. 17.4.2008 – 83 T 50/07, Rn 17, ZErb 2008, 326.

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