Rz. 392

Es finden § 38 S. 1 IntErbRVG und Art. 71 Abs. 2 EuErbVO Anwendung. Danach sind für Widerruf und Änderung ein Antrag an das zuständige Nachlassgericht und der Nachweis eines berechtigten Interesses erforderlich. Nach § 37 Abs. 2 IntErbRVG ist der Antragsteller stets Beteiligter. Sonstige Personen mit einem berechtigten Interesse können bzw. müssen auf ihren Antrag hinzugezogen werden.

 

Rz. 393

Im Gegensatz zur Änderung kann der Widerruf auch von Amts wegen ergehen, § 38 S. 2 IntErbRVG. Die Entscheidung erfolgt durch Beschluss, der mit einer Kostenentscheidung (§ 38 S. 3 IntErbRVG) versehen wird, § 39 Abs. 1 S. 3 IntErbRVG. Das Nachlassgericht unterrichtet nach Widerruf und Änderung sämtliche Personen, denen beglaubigte Abschriften des Zeugnisses ausgestellt wurden, um sie bösgläubig zu stellen.

 

Rz. 394

Von Widerruf und Änderung ist die Berichtigung des Zeugnisses nach Art. 71 Abs. 1 EuErbVO zu unterscheiden. Einfache Formfehler (z.B. Schreibfehler), die keine Auswirkungen auf den Inhalt haben, werden entweder von Amts wegen oder auf Antrag einer Person, die ein berechtigtes Interesse nachweist, berichtigt.

 

Rz. 395

Widerruf und Änderung beziehen sich allein auf die Urschrift des Zeugnisses,[302] die in der Akte des Nachlassgerichts verbleibt. Beide Alternativen setzen materielle Unrichtigkeit voraus (bspw., wenn der Erbe unrichtig ausgewiesen ist). Bei nur formeller Unrichtigkeit ist der Fehler im Rechtsbehelfsverfahren nach Art. 72 EuErbVO geltend zu machen.[303]

 

Rz. 396

Während die Änderung das ausgestellte Zeugnis im Kern intakt lässt und nur die inhaltliche Richtigkeit herstellt, führt der Widerruf zur ersatzlosen Aufhebung des Zeugnisses. Daraus ergibt sich zwischen beiden Alternativen ein Stufenverhältnis: Ein Widerruf kommt nur in Betracht, wenn sich die inhaltliche Unrichtigkeit nicht mit einer Änderung beheben lässt.[304]

 

Rz. 397

Wird die Urschrift widerrufen und geändert, stellt sich die Frage, ob die noch im Rechtsverkehr befindlichen beglaubigten Abschriften an das Nachlassgericht herauszugeben sind. Dies wird verneint. Die beglaubigten Abschriften verbleiben im Rechtsverkehr, werden nach Ablauf der ausgewiesenen Frist jedoch nicht weiter verlängert.[305]

 

Rz. 398

Daran schließt sich die umstrittene Frage an, ob von den noch im Rechtsverkehr befindlichen beglaubigten Abschriften bis zum Ablauf der Gültigkeitsfrist weiterhin die Vermutungs-, Gutglaubens- und Legitimationswirkungen des Art. 69 EuErbVO ausgehen.

Dies wird zum Teil verneint: Die Vermutungs-, Gutglaubens- und Legitimationswirkungen seien aufgehoben.[306] Da für den Zeitraum der ausgewiesenen Gültigkeit nach der Erbrechtsverordnung keine Möglichkeit bestehe, die fortdauernden Wirkungen beseitigen zu können, müsse der wahre Berechtigte auf diese Weise geschützt werden.[307]

Eine andere Meinung möchte zumindest die Vermutungs- und Legitimationswirkungen entfallen, jedoch die Gutglaubenswirkung bestehen lassen. Die Vermutungs- und Legitimationswirkungen können gegenüber Gerichten und Behörden nicht mehr greifen, weil es ihnen im Rahmen der Beweiswürdigung zumutbar sei, bei den Ausstellungsbehörden nachzufragen, ob die beglaubigte Abschrift noch den wahren Berechtigten ausweist. Im Übrigen solle jedoch die Gutglaubenswirkung weiter gegenüber sonstigen Personen bestehen bleiben, weil diese sich auf die Gültigkeitsfrist der beglaubigten Abschriften verlassen würden.[308]

Allerdings verkennen diese Ansichten, dass bspw. Grundbuchämter nicht die Kompetenz haben, die Vermutungswirkung eines vorgelegten Erbscheins in einer Beweiserhebung und -würdigung bzw. durch anlasslose Nachforschungen in Frage zu stellen.[309] Dies gilt auch für das Europäische Nachlasszeugnis.[310] Es ist auch nicht möglich, zwischen Vermutungs- und Gutglaubenswirkung zu differenzieren, weil der gute Glaube an den durch die Vermutung gesetzten Rechtsschein der inhaltlichen Richtigkeit des Zeugnisses ("Fiktion") anknüpft.[311]

Entscheidend dürfte sein, in welchem Umfang man die beglaubigte Abschrift als eigenständigen Rechtsscheinträger anerkennt. Für den deutschen Erbschein wird zwischen Urschrift, Ausfertigung und beglaubigter Abschrift differenziert. Nach § 47 BeurkG ersetzt die Ausfertigung die Urschrift im Rechtsverkehr. Allein die Ausfertigung stellt gegenüber Grundbuchämtern einen ausreichenden Nachweis der Erbfolge dar. Die Erbrechtsverordnung kennt eine Ausfertigung als Ersatz der Urschrift nicht, sodass sich der deutsche Gesetzgeber gezwungen sah, einen wesensfremden Nachweis der Erbfolge, die beglaubigte Abschrift des Zeugnisses, in § 35 Abs. 1 GBO einzufügen. Wenn die beglaubigte Abschrift als ausreichender Nachweis anerkannt ist, wird man dieser die Eigenschaft als Rechtsscheinträger im Hinblick auf Vermutungs-, Gutglaubens- und Legitimationswirkungen für die Dauer der ausgewiesenen Gültigkeit nicht versagen können.

Dem widerspricht die Verordnung mit Art. 73 EuErbVO wiederum selbst. Denn danach können die Wirkungen des Zeugnisses während des Widerrufs- und Änderung...

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