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Insbesondere in Fällen einer unwiderruflichen Bezugsberechtigung aus einer Lebensversicherung kann es mitunter ratsam sein, den Ehegatten quasi taktisch vollständig zu enterben und ihm auch kein Vermächtnis zukommen zu lassen, damit es zur Anrechnung kommt. Nach der jüngsten Rechtsprechung des BGH[45] ist Gegenstand der Zuwendung der Wert, den der Erblasser noch hätte realisieren können. Im vom BGH entschiedenen Fall der widerruflichen Bezugsberechtigung ist dies der Rückkaufswert im Todeszeitpunkt, im Falle einer unwiderruflichen Bezugsberechtigung dürfte dies der Wert der Versicherung zum Zeitpunkt der Einräumung der unwiderruflichen Bezugsberechtigung zuzüglich etwaiger Wertsteigerungen durch die späteren Prämienzahlungen sein.[46]

 

Beispiel: "Der teure Euro"

Ehemann M (Anfangsvermögen Null) hat einen Nachlass i.H.v. fünf Mio. EUR hinterlassen. Es besteht eine Lebensversicherung zugunsten der Ehefrau i.H.v. zehn Mio. EUR mit unwiderruflichem Bezugsrecht, deren Schenkungswert mit fünf Mio. EUR zu bewerten ist. Die Ehefrau hat kein eigentliches Endvermögen (außer der Lebensversicherung). E setzt seine Tochter zur Alleinerbin ein. Wie hoch ist der Anspruch der enterbten Ehefrau?

Abwandlung: Die Ehefrau erhält aus "Gehässigkeit" ein Vermächtnis i.H.v. nur einem EUR. Ändert sich hierdurch der Anspruch der Ehefrau der Höhe nach?

Lösung Variante 1:

Die Ehefrau erhält wegen § 1371 Abs. 2 BGB den kleinen Pflichtteil (⅛) und den realen Zugewinnausgleichsanspruch. Sie muss sich die Zuwendung aus der Lebensversicherung i.H.v. 5 Mio. EUR nach § 1380 BGB auf die Ausgleichsforderung anrechnen lassen.

Zugewinn M: 5 Mio. EUR + 5 Mio. EUR = 10 Mio. EUR

Zugewinn F: 10 Mio. EUR – 5 Mio. EUR = 5

10 Mio. EUR – 5 Mio. EUR = 5 Mio. EUR : 2 = 2,5 Mio. EUR abzgl. Zuwendung 5 Mio. EUR = 0 Zugewinn!

⅛ Pflichtteil = 625.000 EUR

Insgesamt erhält die Ehefrau somit 10.625.000 EUR.

Variante 2:

Aufgrund des (noch so kleinen) Vermächtnisses erhält wegen § 1371 Abs. 1 BGB die Ehefrau den großen Pflichtteil, also 1,25 Mio. EUR und die 10 Mio. EUR aus der Lebensversicherung, mithin 11.250.000 EUR.

Aufgrund des 1 EUR erhält der Ehegatte also 625.000 EUR mehr!

[46] Rudy, Totengräber des Pflichtteilsrechts oder doch Rächer der Enterbten? – Pflichtteilsergänzung bei Lebensversicherungen nach dem Urteil des Bundesgerichtshof vom 28.4.2010, ZErb 2010, 351; Herrler, Behandlungen von Lebensversicherungen im Pflichtteilsrecht: Der goldene Mittelweg des BGH?, ZEV 2010, 333; Damrau/Tanck/Riedel, Praxiskommentar Erbrecht, § 2325 Rn 135.

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