Rz. 179

Hält der Ehevertrag der gerichtlichen Wirksamkeitskontrolle stand, ist im Rahmen einer richterlichen Ausübungskontrolle zu prüfen, ob und inwieweit die Berufung auf den Ausschluss gesetzlicher Scheidungsfolgen missbräuchlich erscheint und deshalb das Vertrauen der Begünstigten in den Fortbestand des Vertrags nicht mehr schutzwürdig ist.

Die in diesem Zusammenhang vorzunehmende Abwägung der beiderseitigen Interessen hat sich wiederum an der "Rangordnung der Scheidungsfolgen" zu orientieren. Je höherrangig die vertraglich ausgeschlossenen Rechte sind, desto schwerwiegender müssen die Gründe sein, die trotz der veränderten Lebensverhältnisse einen Ausschluss rechtfertigen.

Bei der Ausübungskontrolle sollen nach Auffassung des BGH auch "Verschuldensgesichtspunkte" eine Rolle spielen. Ein Ehegatte, der die eheliche Solidarität verletzt hat, soll grundsätzlich keine nacheheliche Solidarität einfordern können.

Maßgebend für die Ausübungskontrolle sind vor allem die aktuellen Verhältnisse im Zeitpunkt des Scheiterns der Ehe. Eine Ausübungskontrolle kommt demnach insb. auch dann in Betracht, wenn die Ehegatten ihre Lebensverhältnisse anders gestaltet haben, als sie dies bei Abschluss des Ehevertrages geplant haben.

 

Rz. 180

Hält die vereinbarte Regelung der Ausübungskontrolle nicht stand, führt dies nicht immer zur Unwirksamkeit der Vereinbarung. Vielmehr hat der Richter die Rechtsfolge anzuordnen, die den berechtigten Belangen beider Ehegatten in ausgewogener Weise Rechnung trägt. Dabei muss sich der Richter vor allem dann an der gesetzlichen Regelung orientieren, wenn die Vereinbarung dem Kernbereich des Scheidungsfolgenrechts zuzuordnen ist.

Entweder führt also die Wirksamkeitskontrolle zur ganzen oder teilweisen Unwirksamkeit oder aber sie führt über die Ausübungskontrolle nicht zur Unwirksamkeit, sondern zur Anpassung durch den Richter. Dieser Unterschied kann erhebliche Auswirkungen auf etwaige erbrechtliche Ansprüche des Mandanten haben. So können sich plötzlich aufgrund eines anderen Güterstandes des Ehegatten insb. die Erbquoten verschieben. Hierdurch werden auch gleichzeitig die Pflichtteilsquoten verschoben.

 
Ehevertrag unwirksam mit Auswirkungen auf … Auswirkungen für Ehegatten Auswirkungen für Pflichtteilsberechtigte

Güterstand

(z.B. statt vereinbarter Gütertrennung nach Inhaltskontrolle Zugewinngemeinschaft)
Erhöhung der Erbquote gegenüber den Abkömmlingen.
Ist Ehegatte gewillkürter Erbe oder Vermächtnisnehmer, kann dieser ausschlagen nach § 1371 Abs. 3 BGB und den realen Zugewinn nebst sog. kleinen Pflichtteil geltend machen.
Alternativ steht ihm die Aufstockung auf den "großen Pflichtteil" zu.
Ist Ehegatte enterbt, kann er den realen Zugewinnausgleich betreiben nebst sog. kleinen Pflichtteil fordern (güterrechtliche Lösung).
Möglicherweise keine zulässige Vereinbarung einer Ehegatteninnengesellschaft, da Ausgleich über Zugewinn sachgerecht.
Verringerung der Pflichtteilsquote aufgrund der Verkleinerung der eigenen Erbquote.
Geltendmachung des realen Zugewinns kann als Passiva den Pflichtteil verringern.
siehe oben
Pflichtteilserhöhend, da diese Position aus den Passiva fällt.
Unterhalt (Unterhaltsverzicht nach Inhaltskontrolle unwirksam) Möglicher Anspruch auf Unterhalt bis zur Höhe des § 1586b BGB Ansprüche aus § 1586b BGB gelten als Passiva und vermindern den Pflichtteilsanspruch
 

Rz. 181

Wurde gleichzeitig mit dem Ehevertrag oder der Scheidungsfolgenvereinbarung ein Erb- oder Pflichtteilsverzicht abgeschlossen soll nach Wachter[271] auch dieser Verzicht der richterlichen Inhaltskontrolle unterliegen.[272] Dabei differenziert er zwischen Verzichten von Ehegatten und anderen Familienangehörigen.

Bei Pflichtteilsverzichten von Ehegatten im Rahmen ehevertraglicher Vereinbarung soll es zu einer "Gesamtabwägung" kommen; bei Verzichten der anderen Familienangehörigen, wenn nach konkreter Situation der Pflichtteil Unterhaltsfunktion hat.

Grundsätzlich ist bei Vorliegen einer Zwangs- und Drucksituation eine Inhaltskontrolle nicht auszuschließen. Es ist jedoch zu bedenken, dass der Pflichtteil aber gerade keine Scheidungsfolge und selbst ein sog. Wagnisgeschäft ist. Regelmäßig käme nach hiesiger Auffassung daher wohl nicht der Totalwegfall des Pflichtteilsverzichts in Betracht, sondern nur eine Anpassung des schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäfts.

 

Praxishinweis

Für den Erbrechtler wird zukünftig daher auch immer die Überprüfung des Ehevertrages von Interesse sein, denn nur so kann er abschließend klären, ob z.B. trotz vereinbarter Gütertrennung nicht doch die Pflichtteilsansprüche der Abkömmlinge geringer sind, weil tatsächlich von Zugewinngemeinschaft auszugehen ist.

Ebenso ist für § 1586b BGB von großem Interesse, ob wirksam auf Unterhalt verzichtet wurde.

[271] Wachter, ZErb 2004, 238 ff.
[272] A. A. Kühle, Infektion eines Pflichtteilsverzichtsvertrags durch einen sittenwidrigen Ehevertrag, ZErb 2013, 221.

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