Rz. 101

Eine weitere Problematik im Zusammenhang mit der Bewertung von Unternehmen bzw. Gesellschaftsbeteiligungen besteht darin, ob und inwieweit dabei latente Steuerbelastungen zu berücksichtigen sind. Veräußert der Erbe das Unternehmen bzw. die Gesellschaftsbeteiligung, hat er einen etwaigen Gewinn zu versteuern. Die Steuerlast mindert für den Erben den Wert des Nachlasses. Allerdings erfolgt die Veräußerung erst nach Eintritt des Erbfalls, so dass eine Berücksichtigung der Steuerlast zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten möglicherweise mit dem Stichtagsprinzip nicht vereinbar ist.

 

Rz. 102

Die wohl h.M.[92] geht davon aus, dass die latente Steuerlast bei der Bewertung nur dann zu berücksichtigen ist, wenn das Unternehmen tatsächlich veräußert wird oder ausnahmsweise eine Bewertung zu Substanz- oder Liquidationswerten erfolgt. Das im Regelfall maßgebliche Ertragswertverfahren geht dagegen von der Fortführung des Unternehmens aus (going concern), so dass eine Berücksichtigung der latenten Steuerlast ausscheidet.

 

Rz. 103

Eine neuere Auffassung[93] betont dagegen zu Recht, dass der wahre Wert sich danach richtet, welcher Preis bei einer Veräußerung im gewöhnlichen Geschäftsverkehr zu erzielen wäre. Die im Falle der Veräußerung anfallenden Steuern sind daher auch bei der Wertermittlung zu berücksichtigen. Darin ist auch kein Verstoß gegen das Stichtagsprinzip zu sehen, da die stillen Reserven bereits vor Eintritt des Erbfalls gebildet worden sind. Problematisch erscheint allerdings die Frage, in welcher Höhe die latenten Steuern anzusetzen sind, da diese von der persönlichen Situation des Erben und den jeweils geltenden Steuergesetzen abhängig sind. Grundsätzlich wird dabei wohl von der Steuerlast auszugehen sein, die im Falle eines fiktiven Verkaufs durch den Erben im Zeitpunkt des Erbfalls entstanden wäre.[94]

[92] Siehe dazu BGH, Urt. v. 26.4.1972 – IV ZR 114/70, NJW 1972, 1269 = BB 1972, 826. Dazu Kapp, BB 1972, 829; Staudinger/Haas, § 2311 Rn 82; MüKo-BGB/Lange, § 2311 Rn 25.
[93] Biermann/Thiele, ErbR 2022, 2; Crezelius, Unternehmenserbrecht, Rn 95; Lorz, ZErb 2003, 302; Winkler, ZEV 2005, 89, 90 f.
[94] Zur Berücksichtigung latenter Steuern im Zugewinnausgleich (§ 1378 BGB) siehe u.a. Müting/Uecker, in: FS Dose, 2022, S. 349 ff.; Spieker, in: FS Dose, 2022, S. 503 ff.; Wellenhofer, in: FS Dose, 2022, S. 553 ff.

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