Rz. 84

Die vom Erblasser beabsichtigte Nachfolgeplanung kann durch Pflichtteilsansprüche[74] (§§ 2303 ff. BGB) in erheblicher Weise gefährdet werden.[75]

Der Pflichtteilsanspruch begründet einen schuldrechtlichen Anspruch auf Zahlung einer Geldsumme in Höhe der Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Die zur Begleichung von Pflichtteilsansprüchen erforderliche Liquidität ist aber vielfach nicht (oder nicht in ausreichendem Umfang) vorhanden, da das Nachlassvermögen überwiegend in dem Unternehmen gebunden ist. Der Pflichtteilsanspruch ist grundsätzlich mit dem (meist unerwartet eintretenden) Erbfall sofort zur Zahlung fällig (§ 2317 Abs. 1 BGB), was eine vorsorgende Liquiditätsplanung zusätzlich erschwert. Eine Stundung des Pflichtteilsanspruchs ist – trotz der Neuregelung – regelmäßig ausgeschlossen (§ 2331a BGB).
Der Pflichtteilsanspruch richtet sich zwar nicht gegen die Gesellschaft, kann aber gleichwohl deren Fortbestand gefährden. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Unternehmensnachfolger nicht über ausreichendes liquides Privatvermögen verfügt, um den Pflichtteilsanspruch zu erfüllen. Die erforderlichen Mittel werden dann vielfach ganz oder teilweise aus dem Unternehmen entnommen bzw. mit Hilfe von Vermögenswerten des Unternehmens finanziert. Auf diese Weise wird die (vielfach ohnehin schon geringe) Eigenkapitalquote des Unternehmens weiter geschwächt.
Für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs ist der tatsächliche Verkehrswert des Nachlasses im Zeitpunkt des Erbfalls maßgebend (§ 2311 Abs. 1 BGB). Unternehmen und Gesellschaftsbeteiligungen sind daher grundsätzlich mit dem vollen Wert einschließlich etwaiger stiller Reserven und eines Firmenwerts zu bewerten. Die Bestimmung dieses Werts erweist sich in der Praxis immer wieder als außerordentlich streitanfällig, da es für (nicht börsennotierte) Unternehmen an einem Markt für die Wertermittlung fehlt.
Im Zusammenhang mit der Ermittlung des Unternehmenswerts sind dem Pflichtteilsberechtigten und den anderen Verfahrensbeteiligten (z.B. Rechtsanwälten, Richtern, Gutachtern) alle für die Unternehmensbewertung erforderlichen Informationen offenzulegen. Aufgrund der Öffentlichkeit des Gerichtsverfahrens kann dies mit einer unerwünschten Publizität verbunden sein.
 

Rz. 85

Die zum 1.1.2010 in Kraft getretene Reform des Pflichtteilsrechts hat daran kaum etwas geändert.[76] Allerdings gewinnen Vermögensübertragungen zu Lebzeiten aufgrund des Abschmelzungsmodells bei Pflichtteilsergänzungsansprüchen weiter an praktischer Bedeutung (§ 2325 Abs. 3 BGB).

[74] Ausf. Zur Problematik des Pflichtteilsrechts bei der Unternehmensnachfolge Boujong, in: FS Ulmer, 2003, S. 41 ff.; Haas, ZnotP 2001, 370; Hölscher, ZEV 2010, 609; Honzen, Pflichtteil und Unternehmensnachfolge, 2012; Horn, Zerb 2008, 411; Keller, ZEV 2001, 297; Lange, DNotZ 2007, 84; Oechsler, AcP 2000, 603; v. Oertzen, ErbStB 2005, 71; Piltz, BB 1994, 1021; Reimann, ZEV 1994, 7; Riedel, Die Bewertung von Gesellschaftsanteilen im Pflichtteilsrecht, 2006; Riedel, ZErb 2003, 212; Schlichting, ZEV 2006, 197; K. Schmidt, in: Röthel (Hrsg.), Reformfragen des Pflichtteilsrechts, 2007, S. 37 ff.; Tanck, BB-Special 5/2004, 19; Tornow, ErbStB 2009, 220; Wegmann, ZEV 1998, 135; Wiegand, DNotZ 2007, 97; Winkler, BB 1997, 1697; Winkler, ZEV 2005, 89.
[75] Umfassend zum Ganzen Navarra-Tschersich, Der Pflichtteil als Störfaktor bei der Unternehmensnachfolge, Berlin 2023.
[76] Gesetz zur Änderung des Erb- und Verjährungsrechts v. 24.9.2009 (BGBl I S. 142). – Ausf. dazu u.a. Müller/Tomhave, ErbStB 2009, 244; Odersky, notar 2009, 362; Reimann, FamRZ 2009, 1633; Wälzholz, DStR 2009, 2104.

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