Rz. 102

 

Übersicht

§ 173 Abs. 2 AO, Durchbrechung der Änderungssperre trotz Außenprüfung

§ 169 Abs. 2 S. 2 AO, Verminderung der Festsetzungsfrist auf 10 Jahre

§ 235 AO, Festsetzung von Hinterziehungszinsen

Neben der Strafandrohung enthält die Abgabenordnung gegen den Steuerhinterzieher nachteilige Sanktionen, die sich unmittelbar für die Erbengemeinschaft auswirken, aber keinen Strafcharakter im eigentlichen Sinne haben. Deshalb treffen sie auch den Gesamtrechtsnachfolger.

Voraussetzung hierfür ist die Feststellung, dass der Erblasser eine (vorsätzliche) Steuerhinterziehung begangen hat. An die als Ordnungswidrigkeit zu ahnende leichtfertige Steuerverkürzung gem. § 378 AO knüpfen sich ähnliche, wenn auch partiell abgemilderte Nachteile.

a) Durchbrechung der Änderungssperre, § 173 Abs. 2 AO

 

Rz. 103

Wenn bei einem Steuerpflichtigen eine Außenprüfung durchgeführt wurde, greift grundsätzlich eine Änderungssperre für zurückliegende Zeiträume. Ausnahmen hiervon sind aber das Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder leichtfertigen Steuerverkürzung im fraglichen Zeitraum. Selbst wenn gem. § 202 Abs. 1 S. 3 AO nach Beendigung der Außenprüfung dem Steuerpflichtigen schriftlich mitgeteilt wurde, dass es zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen gekommen sei, ergibt sich daraus keine Änderungssperre.

b) Verlängerung der Festsetzungsfrist, § 169 Abs. 2 S. 2 AO

 

Rz. 104

Der Gesetzgeber geht davon aus, dass es in Fällen von Steuerhinterziehung (§ 370 AO) eines längeren Zeitraums zur Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen bedarf. § 169 Abs. 2 S. 2 AO legt fest, dass die Festsetzungsfrist bei Steuerhinterziehung zehn, bei leichtfertiger Steuerhinterziehung fünf Jahre beträgt. Diese Fristen beginnen gem. § 170 Abs. 1 AO grundsätzlich mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, mithin der Steuerbescheid ergangen ist.

In Fällen, in denen mangels Steuererklärung/Steueranmeldung kein Steuerbescheid ergangen ist, greift die sogenannte Anlaufhemmung der Festsetzungsverjährung gem. § 170 Abs. 2 Nr. 1 AO: Diese beträgt drei Jahre, so dass mit Ablauf des dritten Kalenderjahres nach Entstehung der Steuer erst die zehnjährige Festsetzungsverjährungsfrist beginnt. Dies führt in Fällen der Steuerhinterziehung zu einer maximalen Festsetzungsverjährungsfrist von dreizehn Jahren. Für die verlängerte Festsetzungsfrist ist es unerheblich, ob die Erbengemeinschaft etwas von der Straftat des Erblassers wusste oder nicht.[181]

[181] Nds. FG EFG 1991, S. 107.

c) Hinterziehungszinsen, § 235 AO

 

Rz. 105

Eine weitere Folge einer vom Finanzamt festgestellten Steuerhinterziehung des Erblassers ist es, dass Hinterziehungszinsen gem. § 235 AO geschuldet werden und festgesetzt werden können. Voraussetzung hierfür ist aber die Feststellung einer vorsätzlichen, rechtswidrigen und schuldhaften Hinterziehung, wobei § 235 AO allerdings keine strafgerichtliche Verurteilung erfordert. Im oben genannten Beispiel 32 (vgl. Rdn 93) könnten somit trotz des Einstellungsbeschlusses des Strafgerichts Zinsen festgesetzt werden. Der Zinslauf beginnt mit der fiktiven Fälligkeit des hinterzogenen Betrages ohne Steuerhinterziehung, er dauert bis zum Tag der Zahlung, wobei je voller Monat 0,5 % Zins geschuldet sind.

 

Rz. 106

 

Beispiel 35

Erblasser E hat noch zu Lebzeiten in einem gegen ihn durchgeführten Strafverfahren eine Verfahrenseinstellung gem. § 153a StPO zugestimmt. Hiernach sollte er eine Geldauflage von 10.000 EUR zahlen. A hat hiervon erst 5.000 EUR beglichen als er verstirbt und seine Söhne S und B ihn zu gleichen Teilen beerben. Das Finanzamt setzt Hinterziehungszinsen für den maßgeblichen Zeitraum gegenüber der Erbengemeinschaft fest.

Da gem. § 235 AO die Steuerhinterziehung als Straftat feststehen muss, kann sich das Finanzamt hierbei nicht darauf berufen, dass das gegen den Erblasser eingeleitete Strafverfahren gegen Zahlung einer Geldauflage gem. § 153a StPO (sogenannte Einstellung nach Erfüllung von Auflagen) eingestellt wurde. Eine Schlussfolgerung, der Erblasser habe eine Straftat begangen, rechtfertigt die Einstellung gem. § 153a StPO nicht, denn sie setzt keinen Nachweis der Tat des Erblassers voraus. Dies gilt obwohl der Erblasser der Einstellung (wie in Fall 35 geschehen) zustimmen muss. Eine entsprechende Annahme würde gegen die Unschuldsvermutung (Art. 6 Abs. 2 MRK) verstoßen.[182]

Danach wird es in der Praxis für die Erbengemeinschaft regelmäßig sinnvoll sein, trotz einer Einstellung gem. § 153a StPO gegen den Zinsbescheid vorzutragen, der Erblasser habe nicht vorsätzlich gehandelt und dies näher zu begründen. Das Finanzamt muss derartigem Vortrag nachgehen und diesen aufklären.[183] Dieses Nebeneinander von Steuerrecht und Strafrecht führt dazu, dass umgekehrt die Erbengemeinschaft durchaus einen Hinterziehungsbescheid erhalten kann, selbst wenn der Erblasser im Strafverfahren freigesprochen wurde oder ein solches gegen ihn gar nicht durchgeführt wurde. Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass der Zinsbescheid ein eigenständiger Verwaltungsakt ist und deshalb eigenständig anfechtbar ist, auch wenn er zusammen mit dem Steuerbescheid ergeht.

[182] Vgl. BFH/NV 2006, 1866 unter Hinweis auf BVer...

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge