Rz. 229

Leben die Eltern getrennt, müssen sie bei Entscheidungen in Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung sind, einvernehmlich entscheiden (§ 1687 Abs. 1 BGB). Umgekehrt kann also der Elternteil, bei dem das Kind lebt, Angelegenheiten des täglichen Lebens allein entscheiden (§ 1687 Abs. 2 BGB).

Können sich die Eltern bei gemeinsamem Sorgerecht über eine solche Frage von erheblicher Bedeutung nicht einigen, ist ein Antrag gem. § 1628 BGB zu stellen.

 

Rz. 230

Die Angelegenheiten des täglichen Lebens sind nach den individuellen Verhältnissen des Kindes zu bestimmen und zu unterscheiden von den "Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung".

Angelegenheiten des täglichen Lebens sind diejenigen, die i.d.R. häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben (§ 1687 Abs. 1 S. 3 BGB); insoweit wird auch von Alltagssorge gesprochen.

 

Rz. 231

Aus dem Bereich der Personensorge sind folgende Beispiele von Angelegenheiten mit erheblicher Bedeutung relevant.[294]

 

Beispiele:

Grundsätzliche Gestaltung des Sorgemodells (persönliche Betreuung usw.):[295]

Besuch einer Kindertagesstätte,[296]
die Unterbringung des Kindes bei einer Tagesmutter an drei Werktagen in der Woche für jeweils 6 Stunden,[297]
dagegen betrifft die Frage, wer das Kind vom Kindergarten, Hort oder der Schule abholen und in den Haushalt des betreuenden Elternteils begleiten darf, eine Angelegenheit des täglichen Lebens und kann daher von dem rechtmäßig betreuenden Elternteil bei gemeinsamer elterlicher Sorge allein entschieden werden,[298]
auch die Entscheidung über die Bekleidung des Kindes und die dabei einzuhaltenden Hygienestandards betrifft eine Angelegenheit der tatsächlichen Betreuung und fällt in die alleinige Entscheidungsbefugnis des Elternteils, bei dem sich das Kind befindet.[299]

Entscheidungen zum Aufenthalt des Kindes:

Bestimmung des (gewöhnlichen) Aufenthalts des Kindes bzw. Wohnortwechsel des betreuenden Elternteils mit dem Kind,[300]
eEs ist grundsätzlich allein Sache des umgangsberechtigten Elternteils über den Ort des Ferienumgangs mit den gemeinsamen Kindern und die Art der Ferien zu entscheiden,[301]
bei Reisen und Urlaubsaufenthalten (Fernreise) handelt es sich i.d.R. nicht um eine Entscheidung von besonderer Bedeutung, für die der umgangsberechtigte Elternteil nach § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB die Zustimmung des anderen Elternteils benötigen würde.[302] Konkret lässt sich die Bedeutung der Angelegenheit einerseits danach beurteilen, welche Vorteile die Durchführung der Reise für die kindliche Entwicklung bietet oder aber danach, welche Nachteile (z.B. Gefahren) für das Kind mit der beabsichtigten Reise verbunden sein könnten.[303] Daher ist zumindest dann eine erhebliche Bedeutung zu bejahen, wenn mit der Reise typischerweise Gesundheitsgefahren oder andere Gefahren verbunden sind, wenn also der beabsichtigten (Urlaubs-) Reise das Kindeswohl elementar – im Sinne von § 1666 BGB – entgegensteht, weil die Urlaubsreise in politische Krisengebiete führen soll; im Zielgebiet Krieg, Bürgerkrieg oder kriegerische Unruhe herrschen; eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vorliegt oder dem Kind im Zielgebiet nicht beherrschbare, außergewöhnliche gesundheitliche Risiken drohen.[304]
Umstritten: Beantragung eines Kinderausweises für Auslandsreisen.[305]

Maßnahmen die Gesundheit betreffend:

die Wahl der Behandlungsmethode, mit Ausnahme der gewöhnlichen medizinischen Versorgung,[306]
die Vornahme oder Nichtvornahme von Schutzimpfungen.[307] Die Schutzimpfung eines Kindes ist auch dann eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung für das Kind, wenn es sich um eine sogenannte Standard- oder Routineimpfung handelt,[308]
die Einwilligung in eine Operation oder eine langwierige Behandlung sowie die Unterbringung des Kindes in einer Heilanstalt.[309]
Bestimmung des Vornamens des Kindes,[310]
die Einbenennung des Kindes,[311]
Entscheidungen über die religiöse Erziehung/Taufe,[312]
Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit/Antrag auf Einbürgerung,[313]

Schulische Maßnahmen und Entscheidungen:[314]

Einschulung (wann und in welche Schule),[315]
Schulwechsel,[316]
Besuch einer weiterführenden Schule,[317]
freiwillige Wiederholung einer Klasse,[318]
Wahl der Fächer bzw. Fächerkombinationen,[319]
Unterbringung des Kindes in einem Internat.[320]
Ausbildungs- und Berufswahl[321]
Entscheidungen über den Umgang des Kindes[322] und zwar sowohl hinsichtlich der Umgangskontakte zu einem Elternteil, § 1684 BGB, als auch zu Dritten, § 1685 BGB.[323]
Bei der Veröffentlichung von Fotos eines Kindes getrenntlebender gemeinsam sorgeberechtigter Eltern auf einer kommerziellen Zwecken dienenden Internetseite handelt es sich um eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung i.S.v. § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB.[324]
 

Rz. 232

OLG Frankfurt, Beschl. v. 8.3.2021 – 6 UF 3/21[325]

Zitat

Übertragung der Entscheidungsbefugnis über die Durchführung von Schutzimpfungen b...

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