Rz. 1

Gegenstand des internationalen Zivilprozessrechts (IZPR) sind sämtliche Sonderregeln des Verfahrensrechts des zur Streitentscheidung berufenen Gerichts (sog. lex fori), die dem inländischen Richter vorschreiben, wie er in Fällen mit Auslandsberührung zu verfahren hat.[1] In der Praxis spielen insbesondere Fragen der internationalen Zuständigkeit und der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen eine bedeutende Rolle. Ein dritter Schwerpunkt des IZPR, der sowohl mit dem internationalen Zuständigkeits- als auch mit dem internationalen Anerkennungsrecht eng verknüpft ist, betrifft die Frage der Beachtung ausländischer Rechtshängigkeit. Der aus dem nationalen Prozessrecht bekannte Einwand der lis alibi pendens soll bei grenzüberschreitenden Verfahren den ungestörten Ablauf des zeitlich früher begonnenen Verfahrens sichern und einander widersprechende Entscheidungen verhindern.

 

Rz. 2

Die drei genannten Themenkomplexe wurden in Europa bereits frühzeitig mit dem Brüsseler Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen von 1968 (EuGVÜ) einheitlich geregelt. Das EuGVÜ wurde nach Inkrafttreten der Gemeinschaftskompetenz für die justizielle Zusammenarbeit in grenzüberschreitenden Zivilsachen in die Verordnung (EG) 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen überführt. Ende 2012 hat der Rat der EU eine Neufassung dieser Verordnung (VO (EU) Nr. 1215/2012[2]) beschlossen, deren geänderte Vorschriften seit dem 10.1.2015 anwendbar sind (EuGVO/"Brüssel Ia-VO").[3]

Daneben hat der EU-Gesetzgeber auf der Grundlage der Art. 61, 65/67, 81 AEUV[4] mittlerweile eine Reihe weiterer für die Praxis wichtiger Verordnungen erlassen wie die Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung (EuEheVO/"Brüssel IIa-VO"),[5] die Verordnung (EG) Nr. 4/2009 über die Zuständigkeit, das anwendbare Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Unterhaltssachen (EuUnthVO)[6] sowie die Verordnung (EU) Nr. 848/2015 über Insolvenzverfahren (EuInsVO).[7] In den letzten Jahren kamen noch die Verordnung (EU) Nr. 2016/1103 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands (EuGüVO)[8] sowie die Verordnung (EU) Nr. 2016/1104 für die entsprechenden Fragen betreffend die güterrechtlichen Wirkungen eingetragener Partnerschaften (EuGüVO (Part))[9] hinzu.[10] Der weiteren Verbesserung und Vereinfachung der justiziellen Zusammenarbeit dienen ferner die Verordnung (EG) Nr. 1393/2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- und Handelssachen (EuZVO)[11] sowie die Verordnung (EG) Nr. 1206/2001 über die Zusammenarbeit zwischen den Gerichten der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Beweisaufnahme in Zivil- und Handelssachen (EuBVO).[12] Weiterhin hat der Gemeinschaftsgesetzgeber in dem Bestreben, die Vollstreckung bestimmter Arten von Forderungen und Entscheidungen zu erleichtern, die Verordnung (EG) Nr. 805/2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (EuVTVO),[13] die Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (EuMahnVO)[14] sowie die Verordnung (EG) Nr. 861/2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (EuGFVO)[15] erlassen.[16] Schließlich gilt seit dem 18.1.2017 auch die Verordnung (EU) Nr. 655/2014 zur Einführung eines Verfahrens für einen Europäischen Beschluss zur vorläufigen Kontenpfändung (EuBvKpfVO),[17] die unionsweit eine einheitliche grenzüberschreitende Kontenpfändung ermöglicht.

Für das Verhältnis der EU-Mitgliedstaaten zu der Schweiz, Norwegen und Island hat insbesondere das Lugano II-Übereinkommen vom 30.10.2007 (LugÜ II)[18] über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen praktische Bedeutung. Der weitgehende Gleichlauf zwischen den Vorschriften des LugÜ II und der alten Fassung der EuGVO ist mit der Neuregelung der EuGVO entfallen. Die Abgrenzung zwischen den beiden Instrumenten ist damit insbesondere in Fragen der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Entscheidungen wieder von großer praktischer Bedeutung.[19]

Gegenüber Drittstaaten außerhalb der EU sind ferner multilaterale oder bilaterale[20] Staatsverträge zu beachten. Neben zahlreichen Abkommen auf dem Gebiet des internationalen Anerkennungs- und Vollstreckungsrechts spielen in grenzüberschreitenden Verfahren mit Drittstaaten insbesondere internationale Rechtshilfeabkommen wie das Haager Übereinkommen über die Beweisaufnahme im Ausland in Zivil- und Handelssachen vom 18.3.1970 (HBÜ)[21] sowie ...

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