Rz. 31

Möglichkeiten, etwaige Informationsdefizite zu beseitigen oder zu reduzieren, finden sich nicht nur im materiellen, sondern auch im Prozess- bzw. Verfahrensrecht.

1. Urkundenvorlage

a) Allgemeines

 

Rz. 32

Beim Urkundenbeweis richtet sich die Vorlagepflicht danach, wo sich die Urkunde befindet. Hat der Beweisführer selbst keinen Zugriff auf die Urkunde, sollte die Vorlage durch Gegner (§§ 421 ff. ZPO), Dritte (§§ 428 ff. ZPO) oder eine Behörde (§ 432 BGB) in Betracht gezogen werden.

 

Rz. 33

Dabei gelten die ZPO-Vorschriften zum Urkundenbeweis im Strengbeweisverfahren (§ 30 FamFG) analog. Werden Unterlagen im Rahmen eines Freibeweisverfahrens (§ 29 FamFG) hinzugezogen, besteht grundsätzlich ein Einsichtsrecht der Verfahrensbeteiligten.

b) Vorlage durch den Gegner

 

Rz. 34

Befindet sich eine Urkunde im unmittelbaren oder mittelbaren Besitz der gegnerischen Partei, kann Beweis durch Stellung eines Vorlegungsantrags angeboten werden (§§ 421 ff. BGB). Das weitere Verfahren richtet sich in diesen Fällen nach den §§ 424 ff. BGB.

 

Rz. 35

Voraussetzung ist das Bestehen eines materiellrechtlichen Anspruchs auf Vorlage der Beweisurkunde. Dieser ist gegeben, wenn der Beweisführer Auskunft, Rechnungslegung oder Herausgabe der Urkunde verlangen kann (z.B. § 675 BGB, Herausgabepflicht bei Geschäftsbesorgung; §§ 667, 681 BGB, Herausgabepflicht des Geschäftsführers). Denkbar ist auch ein verfahrensrechtlicher Anspruch (z.B. §§ 142, 423 ZPO; § 235 FamFG) des Beweisführers.

 

Rz. 36

Im Erbrechtsprozess kann die Urkunde z.B. ein Schriftstück sein, das Testamentsqualität hat und bisher nicht abgeliefert wurde. Dann kann die Ablieferung aber über das Nachlassgericht ohnehin erzwungen werden (§ 2259 BGB, §§ 35, 358 FamFG). Zu denken ist daneben bspw. an folgende Unterlagen mit Urkundsqualität:

Schuldschein
Quittung über eine lebzeitige Zuwendung
privatschriftlicher Vertrag über eine lebzeitige Zuwendung
Schriftstück über den Erlass einer Verbindlichkeit (§ 397 BGB), z.B. einer Darlehensschuld
Abschrift eines notariellen Ehevertrages (z.B. bei Begründung der Gütergemeinschaft).

c) Urkundenvorlage durch Dritte

 

Rz. 37

Aus den gleichen Gründen wie der Gegner kann ein Dritter zur Urkundenvorlage verpflichtet werden (§§ 428 ff. ZPO). Zwangsweise ist die Herbeischaffung in diesen Fällen lediglich im Prozesswege möglich.

 

Rz. 38

Zusätzlich hat das Gericht auch gegenüber Dritten die Möglichkeit, von Amts wegen die Vorlage beweiserheblicher Urkunden aufzugeben (§ 142 ZPO). Ein materiellrechtlicher Anspruch wird hierfür nicht vorausgesetzt.[46] Die Anordnung steht im Ermessen des Gerichts.[47] Das Gericht kann die Vorlage von Urkunden durch einen Dritte anordnen, wenn diesem das zumutbar ist und er zudem kein Zeugnisverweigerungsrecht hat (§ 142 Abs. 2 S. 1 ZPO). Gegenüber dem Dritten stehen die gleichen Zwangsmittel wie gegenüber einem Zeugen zur Verfügung (§ 142 Abs. 2 S. 2 i.V.m. § 390 ZPO).

 

Rz. 39

 

Hinweis

Die Parteien sollten dem Gericht gegenüber die Anordnung der Urkundenvorlage so früh wie möglich im Verfahren anregen. Zur Meidung einer unzulässigen Ausforschung zu Lasten des Gegners bedarf es neben einer möglichst präzisen Bezeichnung der vorzulegenden Urkunde auch eines substantiierten Vortrags zu den hierdurch zu beweisenden Tatsachen. Dabei hat es sich bewährt, zusätzlich die Gründe der eigenen Beweisnot zu beleuchten.[48]

 

Rz. 40

So kann z.B. einem Arzt, der den Erblasser vor seinem Tod behandelt hat, aufgegeben werden, seine Patientenunterlagen über den Erblasser vorzulegen. In einem Fall, in dem die Testierfähigkeit des Erblassers in Rede stand, hat der BGH festgehalten:[49]

Zitat

"Ob und in welchem Umfang der Arzt nach dem Tode des Patienten zum Schweigen verpflichtet ist, hängt (…) in erster Linie von dem Willen des Patienten ab. Hat dieser sich hierüber bei Lebzeiten geäußert, sei es gegenüber dem Arzt oder gegenüber Dritten (vgl. hierzu BGH NJW 1960, 550), dann ist dieser Wille grundsätzlich maßgebend. Lässt sich dagegen eine positive Willensäußerung des Verstorbenen nicht feststellen, dann muss der mutmaßliche Wille des Patienten erforscht, also geprüft werden, ob er die konkrete Offenlegung durch den Arzt mutmaßlich gebilligt oder missbilligt haben würde. Von der erkennbar gewordenen oder zu vermutenden Willensrichtung des Patienten nicht gedeckte Verweigerungsgründe sind sachfremd und daher unbeachtlich. Der Arzt wird den Willen des Patienten in vielen Fällen selbst am besten kennen. Auch aus diesem Grunde ist es sachgerecht, wenn der [beim BGH für Erbsachen zuständige; Anm. des Verf.] VI. Zivilsenat die Hauptverantwortung für die Einhaltung der Schweigepflicht dem Arzt auferlegt hat."

Indessen kann der Arzt, wenn er in einem gerichtlichen Verfahren auf Aufdeckung von Umständen in Anspruch genommen wird, die an sich unter seine Schweigepflicht (fallen oder) fallen können, sich nicht darauf beschränken, die Offenlegung ,aus grundsätzlichen Erwägungen‘ verweigern zu wollen. Vielmehr erwartet der VI. Zivilsenat von dem Arzt in einer solchen Lage die gewissenhafte Erfüllung strenger, ins Einzelne gehender Prüfungspflicht...

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