Rz. 37

Oftmals ist in der Praxis zu erkennen, dass Staatsanwaltschaft und Gericht den Schaden falsch berechnen. Bedeutung hat dies bei der Prüfung des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB, also der Frage, ob bei Verurteilung die Fahrerlaubnis zu entziehen ist. Formularmäßig wird von der Polizei die Höhe des Sachschadens beim Geschädigten erfragt und um Übersendung eines Gutachtens oder Kostenvoranschlags gebeten. In der Anklage und im Urteil finden sich dann regelmäßig die Bruttobeträge wieder, obwohl nicht geklärt ist, ob der Geschädigte repariert hat oder aber er hat sogar ausgesagt, er habe nicht reparieren lassen. Das kann von Bedeutung sein, wenn es um die Frage geht, ob bei einer Verurteilung "nur" ein Fahrverbot verhängt (§ 44 StGB) oder die Fahrerlaubnis entzogen wird (§ 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB). Je höher der Schaden, desto wahrscheinlicher der Entzug der Fahrerlaubnis. Ist der Schaden "grenzwertig", kann es für den Mandanten von ganz entscheidender Bedeutung sein, ob die Mehrwertsteuer in den Schaden miteinzubeziehen ist oder nicht. Dabei wird der bedeutende Fremdschaden im Rahmen des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB gegenwärtig ab 1.300–1.500 EUR angenommen.[66] Bei einem geringeren Sachschaden wird vielfach "nur" ein Fahrverbot verhängt.

 

Rz. 38

Nach der Rechtsprechung ist von einem wirtschaftlichen Schadensbegriff auszugehen. Dies folgt aus der Zielrichtung der Vorschrift, nämlich die Feststellung und Sicherung der durch einen Unfall entstandenen zivilrechtlichen Ansprüche. Zur Bemessung des bedeutenden Fremdschadens sind daher nur solche Schadenspositionen heranzuziehen, die zivilrechtlich erstattungsfähig sind.[67] Die Berechnung des Schadens erfolgt also nach zivilrechtlichen Regeln und damit nach § 249 BGB. Berücksichtigung finden bei der Berechnung Reparaturkosten, Abschleppkosten, Wertminderung und Mehrwertsteuer.[68] Das bedeutet im Hinblick auf die Mehrwertsteuer jedoch auch, dass diese nur zu berücksichtigen ist bei Reparatur oder eventuell bei Ersatzbeschaffung (sofern beim Neufahrzeug ebenfalls die Mehrwertsteuer ausgewiesen wird), § 249 Abs. 2 S. 2 BGB. Ergibt sich durch Herausrechnen der Mehrwertsteuer ein Schaden unter 1.300–1.500 EUR, so ist die Fahrerlaubnis nicht zu entziehen.

 

Rz. 39

Muster 22.13: Schadensbegriff, § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB

 

Muster 22.13: Schadensbegriff, § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB

Mit der Revision rüge ich die Verletzung des materiellen Rechts. Das Amtsgericht hat den Maßregelausspruch nach § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB wie folgt begründet:

"Der Schaden beläuft sich nach dem von dem Zeugen X hereingereichten Schadensgutachten des Sachverständigen Y auf 1.325 EUR (Bruttoreparaturkosten). Es liegt somit ein bedeutender Sachschaden i.S.d. § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB vor, so dass dem Angeklagten die Fahrerlaubnis zu entziehen war."

Das Amtsgericht verkennt den Schadensbegriff des § 69 Abs. 2 Nr. 3 StGB. Nach der Rechtsprechung ist von einem wirtschaftlichen Schadensbegriff auszugehen. Dies folgt aus der Zielrichtung der Vorschrift, nämlich die Feststellung und Sicherung der durch einen Unfall entstandenen zivilrechtlichen Ansprüche. Zur Bemessung des bedeutenden Fremdschadens sind daher nur solche Schadenspositionen heranzuziehen, die zivilrechtlich erstattungsfähig sind (OLG Hamm NZV 2011, 356; OLG Hamm VRR 2014, 442). Die Berechnung des Schadens erfolgt also nach zivilrechtlichen Regeln und damit nach § 249 BGB. Das bedeutet im Hinblick auf die Mehrwertsteuer jedoch auch, dass diese nur zu berücksichtigen ist bei Reparatur oder eventuell bei Ersatzbeschaffung, § 249 Abs. 2 S. 2 BGB.

Aus dem Protokoll der Hauptverhandlung vom 1.9.2015, dort S. 3, ergibt sich, dass der Zeuge S auf Nachfrage des Gerichts ausgesagt hat, er habe das Fahrzeug weder reparieren lassen, noch eine Ersatzbeschaffung vorgenommen.

Damit ist nach dem wirtschaftlichen Schadensbegriff die Mehrwertsteuer nicht zu berücksichtigen. Der Schaden liegt dementsprechend deutlich unter dem Schwellenwert von 1.300,00 EUR, ab dem von einem bedeutenden Schaden auszugehen ist. Die Fahrerlaubnis war daher nicht zu entziehen.

[66] OLG Dresden NZV 2006 104; LG Braunschweig zfs 2005, 100; LG Paderborn zfs 2006, 112; vgl. die Zusammenfassung bei Krumm SVR, 2017, 455 ff.
[67] OLG Hamm NZV 2011, 356; OLG Hamm VRR 2014, 442.
[68] König, in: Hentschel/König/Dauer, 45. Aufl., § 69 StGB Rn 17.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge