Rz. 103

Die Kollisionsnormen können auch folgende Rechtsprüfungen voraussetzen:

Erwerb oder Verlust einer Staatsangehörigkeit.
Bestehen eines gewöhnlichen oder schlichten Aufenthalts.

Die Staatsangehörigkeit einer Person wird ausschließlich nach dem Staatsangehörigkeitsrecht des betreffenden Staates,[221] in Deutschland nach dem StAG[222] bestimmt. Soweit der Erwerb oder der Verlust der Staatsangehörigkeit von privatrechtlichen Statusfragen abhängen (Eheschließung, Adoption usf.) sind diese Vorfragen nach dem Kollisionsrecht des Staates zu bestimmen, um dessen StA es geht (unselbstständige Anknüpfung). Die Frage des Erwerbs oder Verlusts ist für den jeweils maßgebenden Zeitpunkt (Geburt, Annahme als Kind, ggf. Eheschließung) festzustellen.

 

Rz. 104

Der gewöhnliche Aufenthalt ist der tatsächliche Daseinsmittelpunkt einer natürlichen Person.[223] Die Abgabe rechtserheblicher Erklärungen ist dafür keine Voraussetzung.[224] Von daher ist der untechnische Begriff "faktischer Wohnsitz" berechtigt. Abzustellen ist auf den Schwerpunkt aller sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Beziehungen der Person.[225] Nur im Falle einer entsprechenden gesetzlichen Anordnung greift ersatzweise der (schlichte) Aufenthalt (Art. 5 Abs. 2 Hs. 2, 24 Abs. 1 S. 2 Hs. 2 EGBGB sowie Art. 12 Abs. 1 der Genfer Flüchtlingskonvention). Ferner knüpft die dem Verkehrsschutz dienende Vorschrift des Art. 12 EGBGB an den schlichten Aufenthalt an. Der schlichte Aufenthalt ist jeder Ort, an dem sich die Person über eine gewisse Dauer hin aufhält. Nur flüchtige Kontakte (Durchreise, Ausflug usf.) genügen grundsätzlich nicht. Anders aber, wenn sich ein fixierbarer Lebensmittelpunkt für eine Person nicht finden lässt.[226]

[221] Darstellung des Staatsangehörigkeitsrechts der meisten ausländischen Staaten bei Staudinger/Bausback, (Bearb. 2013) Anh. III zu Art. 5 EGBGB.
[222] Zu Erwerb- und Verlustgründen des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts, NomosK-BGB/Makowsky/Schulze, Art. 5 EGBGB Rn 9 f.
[223] BGH NJW 2002, 2955; näher NomosK-BGB/Makowsky/Schulze, Art. 5 EGBGB Rn 16; für Gesellschaften, Vereine oder andere juristischen Person ist auf den Sitz- oder Gründungsort abzustellen (vgl. Mankowski, IPR, Bd. 2, § 7 Rn 1 f.; MüKo-BGB/Kindler, IntGesR Rn 161 f.). Für die Zwecke der Anknüpfung wird für sie primär auf den Sitz der Hauptverwaltung abgestellt (Art. 19 Abs. 1 Art. Rom I-VO u. Art. 23 Abs. 1 Rom II-VO). Für Gerichtsstand und Vollstreckung gelten gem. Art. 63 EuGVVO (2015) nebeneinander der satzungsmäßige Sitz, die Hauptverwaltung oder die Hauptniederlassung.
[224] Der rechtliche Wohnsitzbegriff (§§ 711 BGB) wird im deutschen IPR nicht verwendet. Ausnahmen gelten noch bei der Testamentsform, Art. 26 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 Alt. 1 EGBGB und in einigen Staatsverträgen. Dagegen ist das "domicile" im angelsächsischen Recht (mit eigenständiger Doktrin verbreitet und spielt im Rahmen der Rück- und Weiterverweisungen (Art. 4 Abs. 1 u. 3 EGBGB) eine beträchtliche Rolle, MüKo-BGB/v. Hein, Art. 5 EGBGB Rn 136–138.
[225] OLG Oldenburg IPRax 2012, 550 (Anm. G. Schulze, IPRax 2012, 526 f. zum Problem eines doppelten gewöhnlichen Aufenthalts); KG FamRZ 2007, 1564 Rn 7: Studienort; bei Tagespendlern (Grenzgänger) und Wochenendheimfahrern wird der Wohnort der Familie, bei Familienbesuchern (Jahresurlaub und einzelne Wochenenden) wird der Arbeitsort regelmäßig den Schwerpunkt bilden, vgl. Spickhoff, IPRax 1995, 185, 187; v. Bar/Mankowski, Bd. 1, § 7 Rn 30; Erman/Hohloch, Art. 5 EGBGB Rn 47.
[226] v. Bar/Mankowski, Bd. 1, § 7 Rn 30; Soergel/Kegel, Art. 5 EGBGB Rn 50; KG FamRZ 1968, 489 (Fundort Leiche).

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge