Rz. 133

Die EU hat derzeit 24 Amtssprachen. Eine unionsrechtliche Regelung über den Sprachengebrauch existiert für den Privatrechtsverkehr nicht.[290] Die EU hat in einzelnen Richtlinien den Gebrauch bestimmter, dem Kunden verständlicher Vertragssprachen vorgeschrieben,[291] oder aber die Vertragssprache ganz der Regelung durch die Mitgliedstaaten überlassen.[292] Entsprechend ist nach dem jeweils auf das Rechtsgeschäft anzuwendenden Sachrecht zu klären, ob eine Partei den Inhalt einer Erklärung aus sprachlichen Gründen verstehen musste, bzw. welche Folgen es an ein Nicht- oder Missverstehen knüpft (sog. Sprachrisiko). Ein kollisionsrechtlicher Schutz durch eine Sonderanknüpfung an das Umweltrecht der sprachbenachteiligten Partei über Art. 10 Abs. 2 Rom I-VO ist von der Rechtsprechung nur in Ansätzen anerkannt[293] (für die Einbeziehung von AGBG[294]). Maßgebend ist das Vertragsstatut.

 

Rz. 134

Das deutsche Sachrecht kennt keine allgemeine gesetzliche Regelung. Die Verständnisfrage ist damit Teil der Regeln über den Vertragsschluss, der Auslegung und des Irrtums. Die Unterschrift unter eine (aus Gründen der Sprachkompetenz) nicht verstandene Urkunde berechtigt nicht zur Anfechtung. Ein so begründeter Inhaltsirrtum ist unbeachtlich.[295] Der Ausländer trägt im Inland daher grundsätzlich das Sprachrisiko. Ausnahmen können sich aus Treu und Glauben ergeben, etwa wenn der deutschsprachige Geschäftspartner erkannt hat, dass der Ausländer aufgrund seiner Sprachunkundigkeit Erklärungen nicht verstanden hat. Dabei kommt es entscheidend auf das Auftreten des Ausländers an.[296]

[290] Nur im Verkehr mit den Organen der EU haben alle Unionsbürger gem. Art. 24 AEUV das Recht, sich in einer der 24 in Art. 55 EU-Vertrag genannten Sprachen an diese zu wenden und eine Antwort in derselben Sprache zu erhalten.
[291] So etwa in Art. 4–2 Timesharing-RiLi, umgesetzt in § 483 BGB Vertrags- und Prospektsprache bei Teilzeit-Wohnrechteverträgen: Grundsätzlich muss nach § 483 Abs. 1 BGB die Amtssprache des Wohnsitzstaates des Verbrauchers verwendet werden.
[292] So etwa nach ErwG Nr. 8 der Fernabsatzrichtlinie. Dagegen enthält die Dienstleistungsrichtlinie lediglich eine Pflicht zur Angabe und fortdauernden Verwendung ein und derselben Vertragssprache, Art. 3 Abs. 1 Ziff. 3 lit. g der RiLi über den Fernabsatz von Dienstleistungen an Verbraucher; vgl. dazu krit. Heiss, IPRax 2004, 100, 103 f.
[293] Das OLG Köln IHR 2006, 147 Rn 10 verlangt eine ausdr. Rüge der sprachbenachteiligten Partei bei einer fremdsprachigen Gerichtsstandsklausel; a.A.: Reithmann/Martiny, Rn 3.37; Erman/Hohloch, Art. 10 Rom I-VO Rn 9 f.
[294] OLG Karlsruhe NJW-RR 1993, 567, 568; OLG München IPrax 1991, 46, 49.
[295] Keine Anfechtung einer nicht verstandenen Bürgschaftserklärung, OLG München WM 1988, 1408.
[296] Bei Zuziehung eines Dolmetschers oder sprachkundigen Bevollmächtigten scheidet eine Berufung auf Missverständnisse aus, Reithmann/Martiny, Rn 3.43; anders nur, wenn Dolmetscher täuscht BGH NJW 1995, 190; BGH NJW 1997, 3231, 3232.

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