Rz. 121

Die Abgrenzung von Form- gegenüber Inhaltserfordernissen erfolgt nach dem Zweck der jeweiligen Regelung (Qualifikation).[265] Sofern keine spezielleren Kollisionsregeln bestehen,[266] werden Formerfordernisse für Rechtsgeschäfte selbstständig durch Art. 11 Abs. 1 EGBGB bzw. Art. 11 Rom I-VO bestimmt (Formstatut). Danach gilt das Ortsrecht und alternativ das Geschäftsrecht, um eine Formwirksamkeit im Ergebnis zu begünstigen (favor negotii).[267] Ist das Geschäft nach allen in Betracht kommenden Rechten formunwirksam, gilt für die Folgen das mildere Recht.[268] Für Distanzgeschäfte (bei Vertragsschluss befinden sich die Parteien in unterschiedlichen Staaten) genügt es, wenn eines der beiden Ortsrechte die Formwirksamkeit ausspricht (Art. 11 Abs. 2 EGBGB). Handelt ein Vertreter, so ist der Ort der Vornahme der Vertretererklärung maßgebend (Art. 11 Abs. 3 EGBGB, alternativ nach Art. 11 Abs. 2 Rom I-VO auch das Recht am Ort des gewöhnlichen Aufenthalts des Vertretenen). Für die schuldrechtlichen Grundstücksgeschäfte (Kauf, Miete, Einräumung von Grundpfandrechten, Nießbrauch, Wohnungsrecht usf.) gelten dieselben Formalternativen, es sei denn das ausländische Belegenheitsrecht beansprucht hierfür ausschließliche Geltung[269] (Art. 11 Abs. 4 EGBGB). Nur die dinglichen Rechtsgeschäfte (über bewegliche und unbewegliche Sachen) sind zwingend nach dem Geschäftsrecht zu behandeln (Art. 11 Abs. 4 EGBGB) und damit dem Lageortrecht (Art. 43 EGBGB[270]) unterworfen.

 

Rz. 122

Schuldrechtliche Verträge über inländische Grundstücke können nach einem liberaleren (etwa nur die Schriftform verlangenden) oder auch nur kostengünstigeren Ortsrecht im Ausland abgeschlossen werden. Ein Bezug zum Ortsrecht oder ein sonstiger Auslandsbezug muss nicht vorliegen. Die Beurkundung im Ausland genügt daneben aber schon immer dann (dh unabhängig von den Erfordernissen des Ortsrechts), wenn sie mit den Erfordernissen des Geschäftsrechts, der deutschen Beurkundung nach Maßgabe des § 311b Abs. 1 BGB, gleichwertig ist (sog. Substitution). Die Gleichwertigkeit muss hinsichtlich der ausländischen Urkundsperson und hinsichtlich des ausländischen Beurkundungsverfahrens vorliegen.[271]

[265] Hat das Verbot des Erbvertrags den Zweck, die Testierfreiheit bis zum Tode zu erhalten (Italien und Niederlande), gehört es zum Geschäftsstatut und führt zur Unwirksamkeit des entsprechenden Vertrags. Hat es dagegen den Zweck, die richtige Wiedergabe des Erblasserwillens zu erreichen (Frankreich und Portugal), dann zählt es zur Form und kann durch ein liberaleres Ortsrecht aus deutscher Sicht überwunden werden; vgl. NomosK-BGB/Bischoff, Art. 11 EGBGB Rn 11. Zur Gefahr hinkender Rechtsverhältnisse vgl. oben Rdn 5.
[266] Vorrangig gelten: Art. 24 EuErbVO für Verfügungen von Todes wegen; Art. 13 Abs. 3 u. Art. 17b Abs. 1 EGBGB für Eheschließungen und Partnerschaftserklärungen im Inland; Art. 14 Abs. 4, Art. 23 EuGüVO/EuPartVO für die Rechtswahl in Eheverträgen; Art. 11 Abs. 4 Rom I-VO für Verbraucherverträge. Besondere Formvorschriften gelten für Gerichtsstands- und Schiedsvereinbarungen, im Scheck- und Wechselrecht sowie im Transportrecht; vgl. eingehend Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, (Bearb. 2019) Art. 11 EGBGB Rn 241 f.
[267] Die Anknüpfung an das Geschäftsrecht (lex causae) gem. Art. 11 Abs. 1 Alt. 1, Abs. 2 Alt. 1 u. Abs. 5 EGBGB, ist Gesamtverweisung i.S.v. Art. 4 Abs. 1 S. 1 EGBGB. Eine Rückverweisung (renvoi) des fremden Kollisionsrechts wird also beachtet, siehe Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, (Bearb. 2019) Art. 11 EGBGB Rn 46 f. mit Länderbericht zum ausländischen Formkollisionsrecht Anh. zu Art. 11 EGBGB Rn 1 f.
[268] MüKo-BGB/Spellenberg, Art. 11 EGBGB Rn 69 (bspw. Heilbarkeit statt Nichtigkeit).
[269] Das deutsche Recht verlangt für inländische Grundstücke die Anwendung des § 311b BGB nicht zwingend, Palandt/Thorn, Art. 11 EGBGB Rn 20. Anders die Schweiz (§ 119 Abs. 3 S. 2 IPRG); Länderberichte Staudinger/Winkler v. Mohrenfels, (Bearb. 2019) Anh. zu Art. 11 EGBGB.
[270] Ausnahmen eines anderen sachnäheren Rechts nach Art. 46 EGBGB sind theoretisch möglich. Grundstücke als Anwendungsfälle werden aber nicht erwähnt, vgl. etwa NomosK-BGB/v. Plehwe, Art. 46 EGBGB Rn 6–10.
[271] Gleichwertigkeit ist anerkannt worden für österreichische und spanische Notare, für schweizerische Notare in den Kantonen Basel, Bern, Zürich, Zug und Luzern. Nicht anerkannt dagegen für den US-amerikanischen notary public und den dänischen Notar, weil es sich hierbei nur um einen offiziellen Zeugen handelt. Vgl. mit Nachweisen zur Rspr. NomosK-BGB/Bischoff, Art. 11 EGBGB Rn 21. Anerkannt für Basel und Zürich durch OLG Düsseldorf IPRax 2011, 395, Anm. G. Schulze, IPRax 2011, 365; a.A. LG Frankfurt/M. IPRax 2011, 398.

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