Rz. 24

Das Zusammenwirken von Unternehmen und Familie ist auf den ersten Blick von einem gemeinsamen Interesse getragen: geht es dem Unternehmen gut, geht es auch der Familie gut. Bei genauerer Betrachtung sind an der Schnittstelle von Unternehmen und Familie aber wichtige Entscheidungen zu fällen, in denen widerstreitende Interessen offenbar werden. Die Unternehmensnachfolge ist eine der prominentesten.

Vielfach wurde versucht, die Unternehmerfamilien nach "family first“ oder "business first" zu kategorisieren: Geht bei uns das Interesse der Familie oder das Interesse des Unternehmens vor?"

 

Rz. 25

Dahinter steht nicht zuletzt die Frage, ob das Familienunternehmen in den Augen der Unternehmerfamilie Mittel oder Zweck ist. Vor Pauschalurteilen in der Beantwortung sei gewarnt. Die gegenseitige Abhängigkeit von Familienunternehmen und Unternehmerfamilie bedarf einer Balance. Familie und Unternehmen sind füreinander jeweils Mittel und Zweck. Langlebige Familienunternehmen kennzeichnet, dass beides einen hohen Stellenwert besitzt:[6] das Wohl des Unternehmens und das Wohl der Familie. Bisweilen ist das gut vereinbar – je länger der Horizont, desto eher: "Man kann ein Unternehmen nur dann dauerhaft zum bloßen Mittel für seine Zwecke machen, wenn man das gerade nicht tut, sondern sich selbst seiner eigenen Abhängigkeit gewahr wird und sich deshalb konsequent in den Dienst der Überlebensfähigkeit des Unternehmensganzen stellt."[7] In dieser Formulierung wird verständlich, dass regelmäßig ein Vorrang des Unternehmensinteresses postuliert wird.

 

Rz. 26

Um das Spannungsfeld Familie versus Unternehmen etwas genauer auszuleuchten, hilft der Ressourcengedanke. Im Streben nach der rechten Balance ist zu fragen: Inwieweit versteht sich die Familie als Ressource für das Unternehmen? Und inwieweit fungiert das Unternehmen als Ressource für die Familie?

 

Beispiel 1: Familie als Ressource

Unternehmer F hat sein Unternehmen aus dem Nichts aufgebaut. "Seht, was ich mit bloßen Händen geschaffen habe!", gehört zu den Sätzen, die seine Kinder regelmäßig von ihm hören.

Auch in den Kindern ist das Selbstverständnis gewachsen, dass sie ihre freie Zeit einbringen und ihre Fähigkeiten entsprechend den betrieblichen Anforderungen entwickeln. Fred ist mit seiner IT-Neigung längst unverzichtbar. Er hat seit seinem 16. Lebensjahr das Wachstum des Unternehmens auf der IT-Seite begleitet, die Systeme angepasst, ausgebaut, erneuert. Seine Bachelor-Arbeit befasste sich mit der Sicherheit von Online-Bestell-Plattformen am Beispiel des familieneigenen Unternehmens.

 

Beispiel 2: Unternehmen als Ressource

Als Unternehmer U den 100. Mitarbeiter einstellt und das Unternehmen – nicht überraschend – ein Rekordergebnis einfährt, ist sein erster Gedanke, dass er nun sich und seiner Frau den ersehnten und verdienten Porsche vor die Tür stellen werde.

Die heranwachsenden Kinder machen in den Ferien gut bezahlte Praktika im Unternehmen. "Ich will Euch doch die Chance bieten, euer Taschengeld ordentlich aufzubessern", ermutigt ihr Vater sie regelmäßig.

Auch als das Geschäftsmodell kopiert wird und die Zeiten für das Unternehmen von Wettbewerbsdruck gekennzeichnet sind, reduziert Unternehmer U die Entnahmen nicht. Die Kinder sollen jeder eine gut ausgestattete Eigentumswohnung erhalten. Exklusive gemeinsame Reisen der Familie haben für alle einen hohen Stellenwert.

Die Beispielskizzen entwerfen ein unvollständiges Bild der Unternehmerfamilien F und U. Auch sie – wie praktisch alle Familien – repräsentieren keine Extrempositionen. Sie liegen jedoch auf einer fiktiven Skala recht weit auseinander.

 

Rz. 27

Birgt nun eine der Haltungen ein signifikant höheres Risiko für das Gelingen der Nachfolge? Das ist isoliert nicht zu beantworten. Die Erfahrung zeigt, dass sich in beiden Fällen charakteristische, unterschiedliche Problemfelder auftun. Für Familie F kann Ungleichheit der Lebenswege zur Belastungsprobe werden. Was ist ihre Antwort, wenn Freds Bruder im Unternehmen nicht reüssiert, wenn die Schwester wegziehen möchte? Für Familie U kann Desinteresse am Unternehmen eine Herausforderung darstellen, wenn es keinen direkten materiellen Nutzen mehr stiftet.

Entscheidend für den Erfolg ist zweierlei. Erstens: Erkennt die Familie, wo sie steht? Und zweitens: Wie geht sie mit den Konflikten um? Kann sie die Widersprüchlichkeit akzeptieren und dennoch handlungsfähig bleiben?

 

Rz. 28

Hervorzuheben ist, dass die Haltung "Familie als Ressource" oder "Unternehmen als Ressource" sich über die Zeit verändert – zumindest verändern kann. Wirtschaftliche Krisen haben Familienunternehmen oft deshalb meistern können, weil sie dann familiäre Ressourcen (Kapital, Ideen, Beziehungen) mobilisieren konnten. Der Generationswechsel ist Anlass und Gelegenheit, eine langfristige Perspektive einzunehmen und die Ressourcen ggf. neu zu gewichten.

[6] Ausführlich zu den Erfolgsfaktoren von Mehr-Generationen-Familienunternehmen: Simon/Wimmer/Groth, Mehr-Generationen-Familienunternehmen.
[7] Wimmer, in: Rüsen/von S...

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