I. Familienstrategie: ein gestalterischer Prozess

1. Vielzahl und Vielfalt der Themen

 

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Es ist längst nicht jedem Übergeber oder Übernehmer bewusst, welche Themenkomplexe im Zuge der Nachfolge zu bedenken sind: Beteiligung, Führung, Mitarbeit von Familienmitgliedern, das Zusammenwirken von Familie und Unternehmen, die Organisation der Familie usw. Die Ahnung von der Komplexität genügt oft schon, um das Ganze zu vertagen. Besonders die Abhängigkeiten zwischen den Fragestellungen machen die Lage oft unübersichtlich. Zeit braucht es und Konzentration und häufig auch zusätzliche Informationen, um vorausschauend gestalten zu können.

Die Frage, "Wie geht es weiter in der nächsten Generation?" beschäftigt jede Unternehmerfamilie. Oftmals geht es um die Sorge, dass es in der nächsten Generation schlechter werden könnte: die zweite Generation, die sich nicht grün ist; der auserkorene Nachfolger, der sich mehr auf seine Herkunft als auf seine Qualifikation stützt; die Vettern und Cousinen, die kein rechtes Interesse erkennen lassen. In anderen Fällen sieht man Hoffnung, Stammeskonflikte zu befrieden, da sich die nächste Generation bisher unbelastet und konstruktiv zeigt, oder dem Erfolg des Unternehmens durch eine besser ausgebildete nächste Generation zu Nachhaltigkeit zu verhelfen.

Sorge richtet sich auch auf die Altersvorsorge, Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen usw. In manchen Unternehmen bedeutet Nachfolge, dass über einen langen Zeitraum der Lebensunterhalt mehrerer Generationen zu finanzieren ist.

 

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Unternehmensnachfolge ist mehr als der Austausch des Geschäftsführers. Die Familienstrategie hilft, den größeren Zusammenhang herzustellen und die vielfältigen Themen zu behandeln, ohne sich zu verzetteln. Dabei leiten sich die Lösungen nicht aus Ängsten und Sorgen ab. Der Fokus liegt nicht auf dem Vermeiden. Es geht vielmehr darum, auf der Basis tatsächlicher Gegebenheiten Zukunft zu gestalten. Aktuelle und potentielle Eigentümer vergegenwärtigen sich gemeinsam ihre Prioritäten, festigen ihr gemeinsames Fundament, klären ihre gemeinsame Perspektive. Das schafft die nötigen Voraussetzungen, um die Verantwortlichkeiten im Generationenübergang und für die neue Generation festzulegen: Personen, Strukturen und Prozesse – auf die Situation der Familie und des Unternehmens angepasst und in sich stimmig, ergänzt um Plattformen und Regeln, die die Familie in ihren Aufgaben und in ihrer weiteren Entwicklung unterstützen.

2. Wann anfangen?

 

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Die Familienstrategie kann der Absicherung von Entscheidungen dienen, die in der Familie bereits vorgedacht oder auch kommuniziert wurden. Idealerweise begleitet sie aber den gemeinsamen Entscheidungsprozess der Familie. Sie ermöglicht es, Führungs- und Beteiligungsnachfolge aufeinander abzustimmen, klärt deren Voraussetzungen (Qualifikation, Zeitplan etc.), ergänzt oder verbessert einen förderlichen Rahmen (Business Governance) und stößt die Umsetzung durch die jeweiligen Spezialisten an (Testamente, Eheverträge, Gesellschaftsvertrag, Vermögensplanung etc.). Darüber hinaus formt die Familie ihre Family Governance: Wie kann sie sich so organisieren, dass sie ihr Fundament langfristig festigt und ihre gemeinsame Perspektive für Unternehmen und Familie verfolgt? Stabilität in der Familie ist eine günstige Voraussetzung für das Gelingen der Nachfolge.

Im Nachfolgeprozess bieten sich also zahlreiche Anlässe an, eine Familienstrategie zu beginnen. Die Familienstrategie ist vorbereitend und begleitend nützlich, aber auch im Nachhinein zur Bewältigung von Konflikten oder Entfremdung. Bisweilen verschärfen sich charakteristische Konflikte in Familienunternehmen durch unglücklich gestaltete Nachfolge, so dass die Legitimation des oder der Nachfolger, der Teamgeist oder geeignete Entscheidungsprozesse nachträglich zu verankern sind.

 

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In Mehr-Generationen-Unternehmen befasst sich die Unternehmerfamilie quasi permanent mit Nachfolge. Die Familienstrategie ist dort jederzeit ein Gestaltungsinstrument für den Generationswechsel. Das Phasenmodell[18] veranschaulicht dies. Es benennt neun Phasen der Nachfolge, die sich von Generation zu Generation wiederholen und sich naturgemäß überlappen. (Abbildung 4 berücksichtigt vereinfachend nur ein Mitglied je Generation.)

Abb. 4: Neun Phasen der Nachfolge

[18] Groth/Rüsen, in: Rüsen/von Schlippe, Dynamiken in Unternehmen und Familie, S. 281 ff. Die grafische Darstellung ist eine skizzenhafte Annäherung: Die im Modell formulierten Spannen wirken hier wie die Dauer einer Phase.

II. Bausteine der Familienstrategie

 

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Wesentliches Merkmal der Familienstrategie ist, dass sie die Fragen der Unternehmensnachfolge auf der Basis der tatsächlichen Gegebenheiten beantwortet.[19] Der Prozess bringt die Familienmitglieder miteinander ins Gespräch. Gemeinsam klären sie ihr Fundament und ihre Perspektive für Unternehmen und Familie. Das beleuchtet sowohl ihren Umgang mit charakteristischen Widersprüchen und Paradoxien (siehe Rdn 16 ff.) als auch die Beziehung zwischen Familie, Unternehmen und dem Einzelnen (siehe Rdn 22 ff.). Dabei wird sorgfältig unterschieden, was für die Familie, was für das ...

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