Rz. 306

Bei außergerichtlichen Titeln nach §§ 59 Abs. 1 Nr. 3, 4, 60 SGB VIII (sog. Jugendamtsurkunden) sowie vollstreckbaren Urkunden nach § 794 Abs. 1 N. 5 ZPO handelt es sich zwar um echte Vollstreckungstitel, jedoch sind diese nicht der Rechtskraft fähig.[350] Eine Abänderung führt also – anders als bei gerichtlichen Beschlüssen[351] – nicht zu einer Durchbrechung der Rechtskraft.

 

Rz. 307

Daher ist wegen dieser fehlenden spezifischen Wirkungen der Rechtskraft ist die streitige Abänderung von außergerichtlichen Titeln in § 239 FamFG anderen Verfahrensregelungen unterworfen als die Abänderung gerichtlicher Beschlüsse in § 238 FamFG.[352]

 

Rz. 308

 

Praxistipp:

Eine Abänderung des außergerichtlich erstellten Titels kommt allerdings nur dann in Frage, wenn dieser auch eine materielle Unterhaltsverpflichtung für die Zukunft erfasst und nicht etwa nur Unterhaltsrückstände für die Vergangenheit.[353]

[350] BGH NJW-RR 2003, 433; OLG Nürnberg FamRZ 2004, 1053; OLG München FamRZ 2002, 1371; Graba, FamFR 2011, 169.
[352] BT-Drucks 16/6308, S. 258.
[353] Schwamb in Bumiller/Harders/Schwamb, 12. Aufl. 2019, § 239 Rn 2; Schmitz in Wendl/Dose, Das Unterhaltsrecht in der familienrichterlichen Praxis, 10.Aufl. 2019, § 10 Rn 253.

1. Grundsätze der Abänderungen von außergerichtlichen Titeln

 

Rz. 309

Abänderungen von Vergleichen, Eheverträgen, Scheidungsfolgenregelungen und vollstreckbaren Urkunden bestimmen sich allein nach den Regeln des materiellen Rechts. Maßgeblich sind die Grundsätze über die Veränderung oder den Fortfall der Geschäftsgrundlage[354] (§ 313 BGB), die eine Anpassung rechtfertigen, wenn es einem Beteiligten nach Treu und Glauben nicht zugemutet werden kann, an der bisherigen Regelung festgehalten zu werden.

 

Rz. 310

Unter der Geschäftsgrundlage versteht man bestimmte Vorstellungen der Parteien über das Vorhandensein von Umständen, die bei beiden Parteien bestanden haben und für die Willensbildung von so grundlegender Bedeutung waren, dass sie, redliche Denkungsweise vorausgesetzt, ohne diese Vorstellungen den Vertrag nicht mit diesem Inhalt geschlossen hätten.

 

Rz. 311

Haben die Beteiligten beim Vertragsschluss einen relevanten Aspekt wie z.B. den vorhandenen Wohnvorteil nur deswegen außer Acht gelassen, weil keinem der Beteiligten die unterhaltsrechtliche Relevanz bekannt war, beruht diese Nichtberücksichtigung auf einer beiderseitigen Fehlvorstellung. Dieser Fall wird von der Definition der Geschäftsgrundlage gem. § 313 BGB erfasst. Hier lag ein gemeinsamer Irrtum über die unterhaltsrechtliche Relevanz dieses Aspektes vor. Hatten sie gewusst, dass er sich auf die Unterhaltshöhe auswirkt, hatten sie ihn bei redlicher Denkungsweise bei der Unterhaltsberechnung berücksichtigt und den Unterhalt unter dessen Einbeziehung vereinbart.

 

Rz. 312

Keine Anpassung ist dagegen vorzunehmen, wenn bei der Unterhaltsvereinbarung unterhaltsrechtlich relevante Umstände nicht berücksichtigt, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nur einer Partei vorlagen, aber von der betroffenen Partei nicht geltend gemacht wurden. Wenn z.B. bei Abschluss eines Prozessvergleichs der unterhaltspflichtige M es versäumt hat, eine eheprägende Verbindlichkeit zu erwähnen, die er nach wie vor bedient und der unterhaltsberechtigten F diese Verbindlichkeit nicht bewusst war, liegt keine Störung der Geschäftsgrundlage vor. Denn diese setzt voraus, dass Vorstellungen und Erwartungen beider Vertragsparteien fehlgegangen sind und nicht nur diejenigen eines Vertragspartners. Waren sich nicht beide Beteiligte des Bestehens der Verbindlichkeit bei Abschluss der Unterhaltsvereinbarung bewusst oder steht nicht fest, dass für die F wenigstens ein diesbezüglicher Bewusstseinsstand des M erkennbar geworden ist, liegen die Voraussetzungen einer Geschäftsgrundlage nicht vor. Das Bestehen der Verbindlichkeit stellt damit keinen Abänderungsgrund dar.

 

Rz. 313

Der Geschäftswille der Parteien baute regelmäßig auf der gemeinsamen Erwartung vom Fortbestand der bestehenden Rechtslage auf.[355]

 

Rz. 314

Bei der Anpassung darf nicht nur darauf abgestellt werden, dass ein weiteres Festhalten am Vereinbarten nur für eine Partei unzumutbar erscheint; vielmehr muss das Abgehen vom Vereinbarten auch der anderen Partei zugemutet werden können.[356] Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Unterhaltsvereinbarung vielfach in eine Gesamtregelung der Ehegatten eingebunden ist und nicht isoliert betrachtet werden kann.

[354] BGH v. 4.5.2011 – XII ZR 70/09, FamRZ 2011, 1041 Rn 23 m.w.N.; BGH, Urt. v. 13.7.2011 – XII ZR 84/09; BGH FamRZ 2011, 1498 mit Anm. Maurer = NJW 2011, 3089 mit Anm. Schnitzler; Anm. Hohloch, FF 2011, 410; vgl. auch BGH v. 18.2.2015 – XII ZR 80/13; zum gerichtlichen Abänderungsverfahren ausführlich Roßmann in Horndasch/Viefhues, FamFG, 2014, § 238 Rn 20 ff. und § 239 Rn 11 ff.
[356] BGH NJW 2001, 3618, 3620.

2. Vereinbarter Ausschluss der Abänderbarkeit

 

Rz. 315

Bei Vergleichen, ehevertraglichen Regelungen und auch einseitigen Unterhaltsverpflichtungen über nachehelichen Unterhalt stellt sich zuerst...

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