Rz. 369

Seit Einführung des Zerrüttungsprinzips am 1.7.1977[228] gilt für die Zeit nach der Scheidung der Grundsatz der Eigenverantwortung (§ 1569 BGB).

Dieser Grundsatz wurde durch das UÄndG 2008 nochmals bekräftigt und ausgeweitet: den geschiedenen Ehegatten trifft die Obliegenheit, nach der Scheidung selbst für sein wirtschaftliches Fortkommen zu sorgen. Nur und solange der Unterhaltsberechtigte hierzu nicht imstande ist, kann er Unterhalt von seinem geschiedenen Ehepartner begehren.

Einen Unterhaltsanspruch hat danach nur derjenige, der einen (oder mehrere) der in §§ 1570 ff. BGB aufgeführten Unterhaltstatbestände verwirklicht und deshalb nicht in der Lage ist, selbst für seinen Unterhalt aufzukommen.

Die meisten Tatbestände des nachehelichen Unterhalts setzen voraus, dass die Tatbestandsvoraussetzungen zu einem bestimmten Einsatzzeitpunkt erfüllt sind, weil der Unterhaltsschuldner nicht mehr für die Entwicklung nach Ende der Ehe verantwortlich ist. Dies bedeutet, dass sämtliche Tatbestandsmerkmale des Unterhaltsanspruchs im Zeitpunkt der Scheidung erfüllt sein müssen (sog. Unterhaltskette).

 

Rz. 370

Ausgenommen von diesem Grundsatz sind folgende Tatbestände:

§ 1570 BGB: Betreuungsunterhalt,
§ 1573 Abs. 4 S. 1 BGB: keine nachhaltige Sicherung der Einkünfte aus einer angemessenen Erwerbstätigkeit bei der Scheidung,
§ 1576 BGB: Billigkeitsunterhalt,
§ 1586a Abs. 1 BGB: Wiederaufleben des Unterhaltsanspruchs nach Scheidung einer zweiten Ehe.
 

Rz. 371

 

Hinweis

Soll ein Unterhaltsanspruch abgewehrt werden, so ist darauf zu achten, dass neben der Klageabweisung auch beantragt und vorgetragen wird, dass

der Unterhaltsbetrag herabzusetzen ist und/oder
der Unterhalt zeitlich zu begrenzen ist (§ 1578b Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 2 BGB),
die Ehe von kurzer Dauer war, § 1579 Abs. 1 Nr. 1 BGB,
der Berechtigte in einer verfestigten Lebensgemeinschaft lebt, § 1579 Abs. 1 Nr. 2 BGB,
der Berechtigte sich eines Verbrechens oder eines schweren vorsätzlichen Vergehens gegen den Verpflichteten oder einen nahen Angehörigen des Verpflichteten schuldig gemacht hat, § 1579 Abs. 1 Nr. 3 BGB,
der Berechtigte seine Bedürftigkeit mutwillig herbeigeführt hat, § 1579 Abs. 1 Nr. 4 BGB,
der Berechtigte sich über die Vermögensinteressen des Verpflichteten mutwillig hinweggesetzt hat, § 1579 Abs. 1 Nr. 5 BGB,
der Berechtigte vor der Trennung längere Zeit hindurch seine Pflicht, zum Familienunterhalt beizutragen, gröblich verletzt hat, § 1579 Abs. 1 Nr. 6 BGB,
dem Berechtigten ein schwerwiegendes Fehlverhalten gegen den Verpflichteten zur Last fällt, § 1579 Abs. 1 Nr. 7 BGB,
der Anspruch gem. § 1579 BGB zu beschränken oder zu versagen ist (konkreter Vortrag!),

da dann, wenn die zur Begrenzung oder Herabsetzung führenden Gründe bereits im Erstprozess vorgelegen haben, mit dieser Begründung kein Abänderungsantrag mehr gestellt werden kann.

[228] Für vor diesem Zeitpunkt geschiedene Ehen richtet sich der Unterhaltsanspruch nach §§ 58 ff. EheG.

a) Unterhaltstatbestände

 

Rz. 372

Zu den einzelnen Tatbeständen:

Unterhalt wegen Betreuung gemeinschaftlicher Kinder, § 1570 BGB: Betreut[229] der eine Elternteil ein gemeinsames Kind der Parteien und ist er deshalb gehindert, eine Erwerbstätigkeit auszuüben, so hat er einen Unterhaltsanspruch gegen den nicht betreuenden Elternteil, sofern und soweit ihn dies an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit hindert.

Die Beantwortung der Frage, ob, wann und in welchem Umfang dem betreuenden Elternteil neben der Betreuung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zuzumuten ist, hängt von folgendem ab:

War der betreuende Elternteil auch während der Dauer des Zusammenlebens berufstätig, so hat er seine Berufstätigkeit weiter auszuüben, es sei denn, aufgrund der veränderten Lebenssituation (z.B. Wegfall der Betreuungsleistung des anderen Ehepartners, erhöhter Betreuungsbedarf durch Traumatisierung des Kindes durch die Ehescheidung) ist dies nicht mehr möglich.[230] Hier ist auf die individuelle Situation (Gesundheitszustand, Ausbildungsstand, Alter) abzustellen.

Solange das jüngste Kind noch nicht drei Jahre alt ist, besteht grundsätzlich keine Erwerbsobliegenheit des Unterhaltsberechtigten (es sei denn, eine Berufstätigkeit ist auch während der Ehe ausgeübt worden).[231] Die Notwendigkeit der Kinderbetreuung nimmt mit zunehmendem Alter der Kinder ab.[232] Sobald das jüngste Kind älter als drei Jahre ist, muss eine Erwerbstätigkeit aufgenommen werden, wobei die Möglichkeiten der Fremdbetreuung zu berücksichtigen sind, § 1570 Abs. 1 S. 3 BGB.[233]

Die Dauer und die Höhe des Unterhaltsanspruchs richten sind nach den Belangen und der Anzahl der zu betreuenden Kinder und den bestehenden Betreuungsmöglichkeiten.[234] Das Altersphasenmodell wird nicht mehr schematisch angewendet, sondern es wird eine am Bedarf des Kindes orientierte Betrachtung vorgenommen.[235]

Übt der betreuende Elternteil trotz der Zumutbarkeit der Erwerbsaufnahme keine Berufstätigkeit aus, so sind ihm die zu erzielenden Einkünfte gleichwohl als fiktive Einkünfte zuzurechnen.

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