aa) Zahlungsverbote gem. § 15b Abs. 1 InsO

(1) Grundsatz

 

Rz. 29

Ein erhebliches und häufig unterschätztes Haftungsrisiko für Geschäftsführer/Vorstände einer juristischen Person stellen die an die ab Insolvenzreife zu beachtenden Zahlungsverbote verbundenen Erstattungsansprüche dar. Gem. § 15b Abs. 4 S. 1 InsO haben die gem. § 15a InsO antragspflichtigen Personen im Rahmen der Innenhaftung die Zahlungen zu erstatten, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung vorgenommen wurden. Das Zahlungsverbot gilt bereits ab Eintritt der Insolvenzreife. Auf den Ablauf der Insolvenzantragsfrist kommt es nicht an. Die entsprechenden Ersatzansprüche werden in der Insolvenz vom Insolvenzverwalter geltend gemacht.

Die bislang in den jeweiligen Einzelgesetzen angeordneten Zahlungsverbote für juristische Personen und für Gesellschaften ohne Rechtspersönlichkeit ohne natürliche Person als Vollhafter (§ 64 S. 1 GmbHG; § 92 Abs. 2 AktG; §§ 130a, 177a HGB; § 99 GenG) sind mit dem Sanierungs- und Insolvenzrechtsfortentwicklungsgesetz (SanInsFoG)[25] seit dem 1.1.2021 in einer rechtsformneutralen Regelung in § 15b InsO zusammengeführt worden.[26] Von § 15b InsO nicht erfasst sind Vereine und Stiftungen, §§ 15b Abs. 1 S. 1, 15a Abs. 7 InsO.

[25] BGBl I 2020, 3256.
[26] Die entsprechenden gesellschaftsrechtlichen Kodifikationen sind mit dem Inkrafttreten des SanInsFoG entfallen.

(2) Umfang der Ersatzpflicht

 

Rz. 30

Die in § 15b Abs. 4 S. 1 InsO angeordnete Ersatzpflicht erfasst grundsätzlich alle nach Eintritt der Krise von der Gesellschaft geleisteten Zahlungen. Unter Zahlung ist jede das Vermögen der Gesellschaft schmälernde Handlung zu verstehen. Umfasst sind insbesondere auch solche Vermögensabflüsse, die nicht in Form einer Geldleistung erfolgen.[27] Neben Barzahlungen und Überweisungen auf gesellschaftsfremde Konten sind daher auch sachenrechtliche Übereignungen, wie Warenlieferungen, sowie die Übertragung von Rechten erfasst. Unter den Zahlungsbegriff fallen auch die Einlösung von Schecks oder Entgegennahmen von Zahlungen auf ein debitorisch geführtes Konto. Zurechnungsfähig kann bereits der Nicht-Widerruf eines Dauerauftrages oder der Lastschriftermächtigung sein.

Von der Ersatzpflicht ausgenommen sind lediglich solche Zahlungen, die mit der Sorgfalt eines ordnungsgemäßen und gewissenhaften Geschäftsleiters vereinbar sind, § 15b Abs. 1 S. 2 InsO. Gerechtfertigt sind Zahlungen die im ordnungsgemäßen Geschäftsgang erfolgen und insbesondere der Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes dienen (§ 15b Abs. 2 S. 1 InsO), wenn und solange die Antragspflichtigen Maßnahmen zur nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder zur Vorbereitung eines Insolvenzantrags betreiben (§ 15b Abs. 2 S. 2 InsO). Dementsprechend sind auch Zahlungen privilegiert, die der nachhaltigen Beseitigung der Insolvenzreife oder der Vorbereitung eines Insolvenzantrags dienen, etwa die Zahlung von Beraterhonoraren.

Ist die Insolvenzantragsfrist verstrichen und ist kein Antrag gestellt worden, sind Zahlungen in der Regel nicht durch die Rechtfertigungsklausel privilegiert, § 15b Abs. 3 InsO.

Hinzuweisen ist auf die für Steuerverbindlichkeiten neu eingeführten Sonderregelungen des § 15b Abs. 8 InsO.

[27] Vgl. Begründung RegE, BT-Drucks 19/24181, S. 194.

(3) Haftungsbegrenzung gem. § 15b Abs. 4 InsO

 

Rz. 31

Zu ersetzen sind grundsätzlich sämtliche verbotswidrig geleisteten Zahlungen. Der Ersatzverpflichtete kann jedoch seine Ersatzpflicht auf den Gesamtschaden begrenzen, wenn ihm der Nachweis gelingt, dass der Gesamtgläubigerschaft ein geringerer Schaden entstanden ist, § 15b Abs. 4 S. 2 InsO.

(4) Kein Haftungsausschluss durch Vereinbarung im Innenverhältnis

 

Rz. 32

Die an die Verletzung der Zahlungsverbote knüpfende Ersatzpflicht wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Zahlung in Befolgung eines Beschlusses der Gesellschaft erfolgte, § 15b Abs. 4 S. 3 InsO. Ein Verzicht der Gesellschaft ist ebenfalls nicht möglich. Ein Vergleich mit der juristischen Person ist in den engen Grenzen des § 15b Abs. 4 S. 5 InsO möglich, nämlich dann, wenn

das ersatzpflichtige Organmitglied zahlungsunfähig ist und ein insolvenzabwendender Vergleich geschlossen wird,
die Erstattungspflicht in einem Insolvenzplan geregelt wird oder
in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen der Gesellschaft durch Vereinbarung mit dem Insolvenzverwalter.

(5) Zahlungen an Gesellschafter

 

Rz. 33

Verboten und entsprechend ersatzpflichtig sind Zahlungen an Gesellschafter, die zur Zahlungsunfähigkeit führen müssen, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters nicht erkennbar, § 15b Abs. 5 InsO. Die rechtsformübergreifende Regelung entspricht den bisherigen Kodifizierungen im Gesellschaftsrecht (§ 64 S. 3 GmbHG; § 92 Abs. 2 S. 3 AktG; §§ 130a Abs. 1 S. 3, 177a HGB). Die Genossenschaft ist von dem Anwendungsbereich der Vorschrift ausgenommen.

bb) Insolvenzverschleppungshaftung, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO

 

Rz. 34

§ 15a InsO ist Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB.[28] Eine verspätete oder unterlassene Antragstellung führt daher u.U. zu einer zivilrechtlichen Haftung wegen Insolvenzverschleppung, § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 15a InsO. Die Haftung setzt einen sog. Insolvenzverschleppungsschaden voraus, welcher nach der Differenzhy...

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