Rz. 69

§ 580 Nr. 7b ZPO stellt den wichtigsten Restitutionsgrund dar, indem er die Restitutionsklage zulässt, wenn die Partei eine andere Urkunde auffindet oder zu benutzen in den Stand gesetzt wird, die eine ihr günstigere Entscheidung herbeigeführt haben würde. Der Wiederaufnahmekläger muss hierzu:

die Urkunde beifügen, die eine ihm günstigere Entscheidung im Vorprozess herbeigeführt haben würde (§ 588 Abs. 2 S. 1 ZPO) oder
erklären, welchen Antrag er zur Herbeischaffung der Urkunde zu stellen beabsichtigt, wenn sich die Urkunde nicht in seinen Händen befindet (§ 588 Abs. 2 S. 2 ZPO) und
darlegen, wann er die Urkunde gefunden hat und warum sie nicht im Vorprozess vorgelegt werden konnte (§ 582 ZPO).
 

Rz. 70

Anwendbar ist § 580 Nr. 7b ZPO nur auf Urkunden im Sinne der ZPO, also Verkörperungen einer Gedankenäußerung in Schriftform.[116] Material, Art der Herstellung, Zweck der Errichtung, Bedeutung des Inhalts und Fehlen der Unterschrift spielen für die Urkunde somit keine Rolle.[117] Auf andere Beweismittel ist die Bestimmung nicht analog anwendbar; deswegen ist nicht ausreichend die Vorlage:

einer nachträglich aufgefundenen Fotografie,[118]
nachträglich erstellter oder aufgefundener wissenschaftlicher oder sonstiger Sachverständigengutachten,[119]
einer Privaturkunde, mit der durch die schriftliche Erklärung einer als Zeuge in Betracht kommenden Person der Beweis für die Richtigkeit der in der Erklärung bekundeten Tatsachen geführt werden soll[120] oder
einer amtlichen Auskunft.[121]
 

Rz. 71

Errichtet gewesen sein muss die Urkunde bereits im Zeitpunkt des Vorprozesses, weil der Wiederaufnahmekläger sie andernfalls nicht zu seinen Gunsten hätte in den Prozess einführen können.[122] Eine analoge Anwendung von § 580 Nr. 7b ZPO auf nachträglich erstellte Urkunden ist in der Rechtsprechung des BGH bislang nur für bestimmte Personenstandsurkunden anerkannt.[123] Im Übrigen ist einer nachträglich errichteten Urkunde die Eignung als Restitutionsgrund in analoger Anwendung von § 580 Nr. 7b ZPO jedenfalls dann abzusprechen, wenn im Vorverfahren die mit der Urkunde nachgewiesene Tatsache auch mit anderen Beweismitteln hätte belegt werden können.[124] Die Vorschrift ist auch nicht anwendbar, wenn im Anschluss an das Urteil im Erstverfahren andere Gerichte dort behandelte Rechtsfragen anders beantworten.[125]

 

Rz. 72

 

Hinweis

Findet die unterlegene Partei vor rechtskräftigem Abschluss eines Verfahrens eine ihr nützliche Urkunde auf, die zu einer anderen Beurteilung der Sach- und Rechtslage Anlass geben kann, muss sie:

vor Ablauf der Berufungsfrist nach § 516 ZPO Berufung einlegen,[126]
beim Versäumnisurteil/Vollstreckungsbescheid vor Ablauf der Einspruchsfrist nach §§ 338, 700 ZPO Einspruch einlegen,[127]
bei Fristablauf gegebenenfalls Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragen[128] oder
den Restitutionsgrund mittels Anschließung an eine Berufung geltend machen (§ 582 ZPO).
 

Rz. 73

Aufgefunden wird eine Urkunde, wenn ihre Existenz oder ihr Verbleib der Partei bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung des Vorprozesses bzw. bis zum Ablauf der Rechtsmittelfrist in diesem Verfahren unbekannt war. Hierfür genügt nicht, dass die Urkunde an sich bekannt war, lediglich ihr Inhalt von dem vom Gegner behaupteten Inhalt abweicht.[129] Nur dann, wenn eine vor Rechtskraft der Entscheidung errichtete Urkunde dem Restitutionskläger unverschuldet unbekannt war oder aber der Restitutionskläger von der Existenz der Urkunde zwar wusste, sie aber unverschuldet nicht benutzen konnte, kommt die Wiederaufnahme gem. § 580 Nr. 7b ZPO in Betracht. Bloße Unkenntnis des Inhalts der Urkunde genügt also nicht.[130] Eine Ausnahme gilt lediglich für Geburtsurkunden.[131]

 

Rz. 74

Zur Benutzung der Urkunde nachträglich in den Stand gesetzt wird die Partei, wenn ihr die Urkunde bislang nicht zugänglich war, insbesondere wenn die Urkunde sich in Händen eines nicht vorlagebereiten bzw. vorlegungsverpflichteten Dritten befand.[132]

 

Rz. 75

Weiter muss die Urkunde, hätte sie schon im Vorprozess vorgelegen, zu einer günstigeren Entscheidung für den Wiederaufnahmekläger geführt haben.[133] Bei Verwendung der Urkunde hätte also eine die Vorentscheidung tragende Tatsachenfeststellung zugunsten des Wiederaufnahmeklägers günstiger beurteilt werden müssen. Dabei kann schon ein Beweisbeschluss eine günstigere Entscheidung als das gegen den Wiederaufnahmekläger erkennende Urteil im Vorprozess sein.[134] Entscheidungsgrundlage für das Wiederaufnahmegericht sind insoweit nur die tatsächlichen Ausführungen im Vorprozess und der im Zusammenhang mit der nachträglich aufgefundenen Urkunde vom Wiederaufnahmegericht frei zu würdigende Beweiswert.[135] Maßgebend ist dabei eine Ex-ante-Betrachtung. Es kommt nicht darauf an, wie das Gericht des Wiederaufnahmeverfahrens zu entscheiden für richtig hält, sondern wie es meint, dass das Gericht des Vorprozesses entschieden haben würde, hätte es die Urkunde gekannt.[136] An der erforderlichen Kausalität fehlt es, we...

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