Rz. 69

Zur Entlastung der Justiz ist in der Bauleistungsversicherung das Sachverständigenverfahren ­eingeführt worden, dessen wesentliche Ausgestaltung in § 9 ABN/ABU zusammengefasst worden ist.

Das im Bereich des Sachversicherungsrechtes durchgängig angeordnete Sachverständigenverfahren ist ein an § 319 BGB angenähertes Schiedsgutachterverfahren.[257] Die an § 84 VVG anknüpfende Regelung des Sachverständigenverfahrens enthält folgende Festlegungen:

(1) Nach § 9 ABU/ABN steht die Möglichkeit der Einleitung einseitig dem Versicherungsnehmer oder beiden Parteien zu.

(2) Falls dies eindeutig vereinbart worden ist, kann im Sachverständigenverfahren auch eine begrenzte Klärung von Rechtsfragen erfolgen, da die frühere Begrenzung auf tatsächliche Voraussetzungen nicht übernommen worden ist.

(3) Das soll allerdings nicht für die Feststellungen von Obliegenheiten und die Feststellungen zum Vorliegen einer arglistigen Täuschung gelten.[258] Im Wege der Individualvereinbarung kann dem Sachverständigenverfahren auch die Feststellung von Obliegenheitsverletzungen übertragen werden.[259]

(4) Die Installation des Sachverständigenverfahrens erfolgt durch Benennung jeweils eines Sachverständigen durch jede Partei, die ihrerseits den Obmann benennen. Die Sachverständigen dürfen nicht Mitbewerber des Versicherungsnehmers sein und mit ihm weder in ständiger Geschäftsbeziehung stehen oder bei ihm in weitesten Sine angestellt sein.

(5) Ob ein Ablehnungsrecht der Parteien gegenüber den Sachverständigen besteht, ist umstritten.[260]

(6) Die Aufklärungsmöglichkeiten der Sachverständigen sind begrenzt, da sie weder Zeugen vernehmen dürfen noch die Partei anzuhören berechtigt sind.[261] Durch Individualvereinbarung kann ihnen ein Recht hierzu übertragen werden.

(7) Durch Einzel- oder gemeinsames Gutachten müssen die Sachverständigen zu folgenden Fragen im Gutachten Stellung nehmen:

die ermittelten oder vermuteten Ursachen und der Zeitpunkt, von dem an der Sachschaden für den Versicherungsnehmer nach den anerkannten Regeln der Technik frühestens erkennbar war,
der Umfang der Beschädigungen und Zerstörungen,
die Wiederherstellungs- und Aufräumkosten,
der Zeitwert von Resten und Altteilen.

(8) Kommen die – einfachen – Sachverständigen zu abweichenden Ergebnissen, entscheidet der Obmann, der jedoch innerhalb der Grenzen der ihm vorgelegten Feststellungen der Sachverständigen bleiben muss. Er darf damit nur entscheiden, ob die eine oder andere Feststellung zutreffend ist; kommt er zu einem "Mittelwert", ist seine Entscheidung unwirksam.[262]

(9) Die grundsätzlich verbindlichen Entscheidungen der Sachverständigen können ausnahmsweise unverbindlich sein, wenn sie offensichtlich unrichtig sind. Entscheidungen hierfür sind nicht vorhanden. Die Übertragung der Prüfungsgrundsätze für andere Sachversicherungszweige nennt Schwellenwerte für Fehlerquoten zwischen 15 % und über 20 %.[263] Die erhebliche Abweichung muss auch offenbar sein, was voraussetzt, dass sie sich dem sachkundigen und unbefangenen Beobachter – wenn auch möglicherweise erst nach eingehender Prüfung – aufdrängt.[264]

(10) Bei schweren Verfahrensmängeln im Zusammenhang mit der Bestellung der Sachverständigen liegt ein gegenüber den Bewertungsdifferenzen selbstständiger Unwirksamkeitsgrund vor.[265]

(11) Die Kostenregelung in § 9 Nr. 6 ABU/ABN, wonach jede Partei die Kosten des von ihr benannten Sachverständigen und die des Obmanns jeweils zur Hälfte trägt, erscheint dann unbillig, wenn eine der Parteien mit ihrem Begehren voll durchdringt. Trotz der Abdingbarkeit des § 85 VVG dürfte eine Unwirksamkeit der Kostenregelung in den Klauseln anzunehmen sein.[266]

(12) Die Vereinbarung des Sachverständigenverfahrens hat in prozessualer Hinsicht zur Folge, dass das Gericht die durch die Sachverständigen getroffenen Feststellungen zu übernehmen und im Umfang dieser Feststellungen dem Gericht Beweiserhebungen und Beweiswürdigung untersagt ist.[267]

(13) Lehnt der Versicherer seine Leistungsverpflichtung dem Grunde nach endgültig ab, kann der Versicherungsnehmer die Leistung klageweise geltend machen, da die Forderung nach § 14 VVG fällig geworden ist.[268] Ist die Höhe der Entschädigung streitig, kann der Versicherer, der das Erbringen der Leistung noch nicht abgelehnt hat, die Einrede des Sachverständigenverfahrens erheben, so dass die Klage als zur Zeit unbegründet abzuweisen ist, es sei denn, dass Abschlagszahlungen verlangt werden können.[269]

[257] BGH VersR 1976, 821; BGH VersR 1978, 131.
[258] BGH VersR 1979, 25 (26).
[259] Vgl. auch BGH r+s2006, 405 (406).
[260] Ablehnend BGH VersR 1978, 121.
[261] BGH VersR 1984, 429 (431); BGH VersR 1989, 395 (397).
[262] Vgl. BGH VersR 1967, 1141.
[263] Das könnte auf die Güte der Sachverständigenverfahren zurück zu führen sein.
[264] BGH VersR 1978, 121; OLG Köln r+s 2008, 111 (113); vgl. auch BGH VersR 1987, 601.
[265] BGH VersR 1989, 910.
[266] BGH VersR 1982, 482.
[267] Vgl. Berliner Kommentar zum Versicherungsvertragsgesetz, 1. Aufl., § 64 VVG (a.F.) Rn 1...

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