Rz. 6

Wirtschaftliche Notwendigkeit und Rechtfertigung der Bauleistungsversicherung gegen Risiken der Gefahrtragung folgen aus fehlenden anderweitigen Möglichkeiten ausreichender Risikovorsorge. Soweit in der Baupreiskalkulation berücksichtigt wird, dass etwa durch Neuherstellungsaufwand des Unternehmers, der sich aus seiner Gefahrtragungspflicht ergibt, eine Erhöhung der Selbstkosten eintritt, kann die Berücksichtigung von Sonderwagnissen der Bauausführung nicht durch die Berücksichtigung von 3 %–5 % in der Baupreiskalkulation aufgefangen werden.[21] Im Übrigen treten Gefahrtragungsfälle in der Regel unvorhersehbar ein, so dass sie hinsichtlich des Grundes und der Höhe ihrer Entstehung unkalkulierbar sind.[22] Eine Erhöhung des üblichen Wagnissatzes in der Baupreiskalkulation von 3 %–5 % auf einen Satz, der auch den "worst case" der Neuherstellung abdeckte, würde zu einer allgemeinen Verteuerung der Baupreise, ggf. auch zu einer Verschlechterung der Konkurrenzsituation führen.[23] Da sich die Prämiensätze für Bauleistungsversicherungen in der Form der Einzelversicherung derzeit auf 0,8 ‰–1,2 ‰ der Bausumme belaufen, ist bei ausreichender Deckung des aus der Gefahrtragung folgenden Risikos des Unternehmers die Versicherungslösung ungleich wirtschaftlicher als eine das Risiko erfassende Erhöhung des Wagnissatzes in der Baupreiskalkulation.[24] Die Deckung des Gefahrtragungsrisikos des Unternehmers in der Bauleistungsversicherung dient auch dem Schutz des Bauherrn, der in der Versicherung einen Partner auf der Unternehmerseite vorfindet, der die Neuherstellung des vor Gefahrübergang zerstörten oder beschädigten Werkes erhält.[25]

Eine Risikoverminderung kann mit einer Bauleistungsversicherung auch für den Auftraggeber verbunden sein. Schließt er einen Bauleistungsversicherungsvertag ab, bei dem er oder ein sonstiger Auftraggeber Versicherungsnehmer ist, werden die Interessen von Bauherr, Unternehmer und Subunternehmer aus den nachteiligen Folgen der Gefahrtragung versichert (ABN-Modell).

 

Rz. 7

Einzelheiten des Versicherungsschutzes in der Bauleistungsversicherung ergeben sich aus den beiden Allgemeinen Bedingungen für das Unternehmermodell, Allgemeine Bedingungen für die Bauleistungsversicherung durch Auftraggeber (derzeitige Fassung 2011; ABU 2011) und aus den Allgemeinen Bedingungen für die Bauleistungsversicherung durch Auftraggeber (derzeitige Fassung 2011; ABN 2011). Die folgende Darstellung geht von der vom GDV empfohlenen Fassung aus. Bei der Heranziehung der Bedingungswerke ist zu beachten, dass wesentliche Abänderungen und Ergänzung der in den AVB getroffenen Bestimmungen aufgrund von Klauseln zu den Allgemeinen Bedingungen und auch aufgrund von Individualvereinbarungen möglich und üblich sind. Die Neufassungen der Vertragswerke im Jahre 2011 lösten die Fassungen aus dem Jahre 2008 ab und brachten nur inhaltlich unbedeutende Änderungen mit sich.[26]

 

Rz. 8

Die Formen der Bauleistungsversicherungen versichern die herzustellende Sache, das Bauwerk, während des Herstellungszeitraums, damit in der Zeit erhöhter Schadensanfälligkeit.[27] Die Interessen der Baubeteiligten sind in diesem Zeitraum identisch: sie sind gerichtet auf den unversehrten Fortbestand der Bauleistung während einer bestimmten Zeit.[28] Gesichert wird das Risiko des Unternehmers, die beschädigte oder zerstörte Bauleistung ohne zusätzliche Vergütung erneut herstellen zu müssen und das Risiko des Bestellers, trotz vorliegender Zerstörung oder Beschädigung die Vergütung ohne Anspruch auf kostenlose Wiederherstellung leisten zu müssen (siehe Rdn 3). Der damit umschriebene allgemeine Umfang der Deckungspflicht des Bauleistungsversicherers lässt zum einen den Endzeitpunkt des Versicherungsschutzes erkennen, zum anderen kann damit die Bauleistungsversicherung als eine Form der Sachversicherung bestimmt werden. Mit der Abnahme oder bis zum Ablauf der vereinbarten Nachfrist endet der Versicherungsschutz in der Bauleistungsversicherung.[29] Dass die Bauleistungsversicherung Sachversicherung ist, ­ergibt sich daraus, dass der Schutz der Bauleistung sich auf Sachen bezieht, nicht dagegen ein Schadensrisiko, etwa Ansprüche Dritter, gedeckt werden.[30] Eine Besonderheit weist der Versicherungsschutz jedoch auf, weil er Sachen "schützt", die nicht dem Versicherungsnehmer gehören. Da der Bauunternehmer die Baustoffe mit dem Grund und Boden verbunden hat, der im Eigentum des Bestellers steht, liegt bezüglich der zur Erbringung der Bauleistungen eingebrachten Materialien ein Eigentumsübergang vor (§ 94 BGB). Dass fremdes Eigentum in der Bauleistungsversicherung versichert ist, schließt allerdings das Vorliegen einer Sachversicherung nicht aus. So ist in der Hausratversicherung, einer Form der Sachversicherung, die Eigentumslage an den Hausratsgegenständen unerheblich, auch Fremdeigentum versichert (vgl. VHB 2010 A § 6 Ziff. 2 dd).

In Ausnahmefällen kann die Bauleistungsversicherung die Funktion einer Haftpflichtver­sicherung haben, was sich bei einem Regress...

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