Rz. 56

§ 89b HGB gewährt dem Handelsvertreter einen Ausgleichsanspruch mit Beendigung[212] des Handelsvertretervertrages. Entscheidend ist die rechtliche Beendigung und nicht die bloße Tätigkeitseinstellung. Des Weiteren muss der Unternehmer nach der Beendigung aus der Geschäftsverbindung mit vom Handelsvertreter geworbenen neuen Kunden erhebliche Vorteile haben, z.B. Aussicht auf längere und beständige Geschäftsbeziehung.[213] Dem Handelsvertreter müssen infolge der Vertragsbeendigung aus bereits abgeschlossenen oder künftigen Geschäften mit den von ihm geworbenen Kunden Provisionen entgehen. Neu sind solche Kunden, die mit dem Unternehmer bisher nicht in geschäftlichen Beziehungen gestanden haben oder zwar eine Geschäftsverbindung bestand, diese jedoch im Laufe der Zeit abgerissen und durch die Bemühungen des Handelsvertreters der Kunde wieder gewonnen wird.[214] Unter dem Kunden ist hierbei sowohl der Abnehmer der Ware des Unternehmers als auch der Lieferant von Waren an den Unternehmer zu verstehen.[215] Der Werbung eines neuen Kunden steht es gleich, wenn der Handelsvertreter die bei Beginn seiner Tätigkeit bereits vorhandenen Geschäftsverbindungen zu einem Kunden so wesentlich erweitert, dass dies wirtschaftlich der Werbung eines neuen Kunden entspricht. Es ist zu prüfen, ob die Umsatzsteigerung als eine auf den Vermittlungsbemühungen des Handelsvertreters beruhende Intensivierung anzusehen ist.[216] Dabei ist klarzustellen, dass die Kunden vom Handelsvertreter geworben sein müssen, wobei insoweit auch eine geringfügige Mitursächlichkeit ausreicht.[217] Nicht ausreichend sind sog. potentielle Kunden, also nur künftige Vertragspartner. Das gilt auch für ein neu gegründetes Unternehmen, das von der in Insolvenz geratenen Altfirma die Kundenadressen erwirbt.[218] Der Ausgleichanspruch setzt weiter voraus, dass der Handelsvertreter infolge der Vertragsbeendigung Provision verloren hat, z.B. aus abgeschlossenen Geschäften,[219] sowie künftige Geschäfte mit geworbenen Kunden.[220] Als Bemessungsgrundlage gelten grundsätzlich die Provisionen der letzten zwölf Monate vor Beendigung des Vertragsverhältnisses.[221] Der Handelsvertreter ist grundsätzlich für die Werbung jedes Neukunden beweispflichtig. Ist er seit Beginn des Vertriebs tätig, so spricht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass alle Kunden von ihm geworben wurden.[222] Schließlich muss die Zahlung des Ausgleichs der Billigkeit entsprechen.[223]

[212] BGH NJW 1998, 75; OLG München v. 28.9.2011 – 7 U 2019/11, n.v.: auch bei kurzer Laufzeit; zum Begriff der Beendigung: GK/Leinemann, § 89b Rn 5 ff.; MüKo/v. Hoyningen-Huene, § 89b Rn 26 ff.; Küstner/Thume, Bd. 2, Kap. V. m. Einzelheiten, insb. Rn 82 ff.; Thume, BB 1998, 1425 f.; vgl. auch BGHZ 53, 152, 159; BGHZ 129, 290, 293; BGH BB 1997, 222: zur Anfechtbarkeit des Vertrages, BGH BB 1969, 510: zum Anspruch des Untervertreters; zur gerichtlichen Geltendmachung dem Grunde nach: OLG Nürnberg v. 28.1.2011 – 12 U 744/10, n.v.
[213] Vgl. BGH BB 1960, 605 f.; BGH BB 1970, 102; BGH BB 1991, 1210, 1211; BGH DB 1998, 764; BGH WM 1997, 235: auch bei Nichtigkeit des Handelsvertretervertrags entscheidend; BGH BB 2011, 3090: Übernahme des Kundenstammes von einem insolventen Unternehmer; allgemein zum Unternehmervorteil: Baumbach/Hopt, § 89b Rn 15; Rothermel/Schulz, BB 2019, 1609, 1613 f.: Laufkundschaft als Stammkunde.
[214] Vgl. BGH BB 1971, 843: zum Begriff der wesentlichen Erweiterung; BGH v. 6.10.2016 – VII ZR 328/12, ZVertriebsR 2016, 384; OLG Celle v. 16.2.2017 – 11 U 88/16, ZVertriebsR 2017, 230: mehr als 50 %; Küstner/Thume, Bd. 2, Kap. VI Rn 27 ff. m.w.N; Thume, BB 2020, 779, 780, 781 ff: zum branchenfremden Neukunden; vgl. auch EuGH v. 7.4.2016 – C-315/14, BB 2016, 910.
[215] Vgl. Baumbach/Hopt, § 89b Rn 12 ff; BGH NJW 1998, 70: auch Familienmitglieder.
[216] Vgl. Baumbach/Hopt, § 89b Rn 13; Küstner/Thume, Bd. 2, Kap. VI Rn 31 ff.
[217] BGH NJW 1985, 860; BGH NJW 1998, 66; Einzelheiten in Baumbach/Hopt, § 89b Rn 14; Küstner/Thume, Bd. 2, Kap. VI m. Einzelheiten je Art des Handelsvertreters; Thume, BB 2020, 779, 780.
[218] BGH BB 2011, 208; BGH BB 2010, 1685; Thume, BB 2020, 779; BGH DB 1990, 2592: nicht Dritte, die einen potentiellen Kundenkreis beeinflussen können.
[219] BGHZ 30, 98; BGH NJW 1998, 66; BGH NJW 1979, 653; Baumbach/Hopt, § 89b Rn 26; BGH NJW 2011, 1143 ff.: auch bei langlebigen Wirtschaftsgüter zu bejahen.
[220] BGHZ 24, 223; BGHZ 29, 83; BGHZ 30, 98; BGH BB 1970, 101; BGH NJW 1998, 1070; Baumbach/Hopt, § 89b Rn 26.
[221] BGHZ 135, 23; Bruttoprovisionen: BGHZ 41, 129; BGH WM 1987, 1462; BGH NJW 1998, 66; BGH 1999, 2668.
[222] Vgl. BGH WM 1987, 1462, 1464 f.; Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn/Löwisch, § 89b Rn 290 ff.: sehr ausführliche Behandlung der prozessualen Fragen; Thume, BB 2020, 779, 780.
[223] Allg. zur Billigkeitsprüfung: Baumbach/Hopt, § 89b Rn 23 ff. m.w.N.; Oetker/Busche, § 89b Rn 27; OLG München 7 U 3385/10, n.v.: zur Anrechnung der Altersversorgung im Rahmen der Billigkeit.

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge