A. Die Krise des Schuldverhältnisses

 

Rz. 1

Mit dem Tod des Schuldners tritt jedes Schuldverhältnis in eine "existenzielle Krise": Die wichtigste Person des Schuldverhältnisses, den Schuldner, gibt es nicht mehr. Von seinem rechtsgeschäftlichen Verhalten, seiner Vermögenssituation und Liquidität hing es ab, ob das zwischen dem Gläubiger und dem Schuldner = Erblasser begründete Schuldverhältnis ordnungsgemäß abgewickelt werden konnte und die dem Gläubiger gegenüber bestehenden Verpflichtungen in vollem Umfang erfüllt werden.

 

Rz. 2

Der Tod des Schuldners ist für den ungesicherten Gläubiger eine so einschneidende Situation wie der Vermögensverfall. Diese neue, für den Gläubiger schwierige Lage erfordert gesetzliche Regeln, die seinem akut gewordenen Schutzbedürfnis gerecht werden. Deshalb hat sich das Gesetz für den streng erscheinenden Grundsatz der unbeschränkten Haftung des Erben für die Nachlassverbindlichkeiten entschieden.

I. Die ersten zu klärenden Fragen

 

Rz. 3

Vor allen – sicher interessanten – dogmatischen Fragen interessieren den Gläubiger und damit auch seinen Rechtsanwalt zwei praktische Fragen:

Wer ist Erbe geworden und damit neuer Schuldner?
Ist die ursprünglich gegen den Erblasser gerichtete Forderung in irgendeiner Weise abgesichert oder nicht?
 

Rz. 4

Denn auch hier gilt: Gleichgültig, welche Haftungssituation beim Erben eintreten wird, die Position des abgesicherten Nachlassgläubigers ist bei der Nachlassverwaltung, in der Nachlassinsolvenz und bei Erhebung der Dürftigkeitseinrede in jedem Falle besser als die des ungesicherten Gläubigers.

II. Praxishinweise für den Rechtsanwalt

1. Auskünfte von Behörden

 

Rz. 5

Wenn der Gläubiger lediglich den Tod des Schuldners vermutet, weil keine Reaktion mehr erfolgt, so kann er sich Gewissheit verschaffen durch

einfache oder erweiterte Melderegisterauskunft gem. §§ 44, 45 BMG bei der Meldebehörde am Hauptwohnsitz des Schuldners,
Auskunft aus dem Personenstandsregister gem. § 62 PStG beim Standesamt am Geburtsort des Schuldners, das gem. § 60 PStV eine Mitteilung vom Sterbefall durch das Standesamt erhält, in dessen Zuständigkeitsbereich er verstorben ist,
Anfrage beim zuständigen Nachlassgericht gem. § 13 FamFG, ob dort ein Vorgang über den Schuldner geführt wird, insbesondere eine Verfügung von Todes wegen eröffnet oder ein Erbschein erteilt worden ist.

2. Beschaffung eines Erbscheins

 

Rz. 6

Der Gläubiger kann sich unter Vorlage einer Ausfertigung des vollstreckbaren Titels vom zuständigen Nachlassgericht gem. § 357 Abs. 2 FamFG eine Ausfertigung eines bereits erteilten Erbscheins erteilen lassen.

Ist ein Erbschein noch nicht erteilt, kann der Gläubiger – wenn er bereits im Besitz eines vollstreckbaren Titels ist – anstelle der Erben des Schuldners gem. §§ 792, 896 ZPO die Erteilung eines Erbscheins verlangen. Er hat ein inhaltsgleiches Antragsrecht wie die Erben des Schuldners.[1] Hierzu muss er auch die nach § 352 Abs. 3 S. 2 FamFG erforderliche eidesstattliche Versicherung abgeben.[2] Dies gilt auch für das Finanzamt als Gläubiger einer Steuerschuld.[3]

 

Rz. 7

Handelt es sich beim Gläubiger um eine juristische Person, so ist die eidesstattliche Versicherung vom gesetzlichen Vertreter abzugeben, eine rechtsgeschäftliche Bevollmächtigung ist im Grundsatz nicht zulässig.[4] Auch im Fall der Beantragung eines Erbscheins durch den Gläubiger gem. § 792 ZPO handelt es sich bei dem Formerfordernis gem. § 352 Abs. 3 S. 2 FamFG um ein solches, das regelmäßig einzuhalten ist.[5]

 

Rz. 8

Gleichwohl kann es im Einzelfall geboten sein, gem. § 352 Abs. 3 S. 3 FamFG dem Gläubiger die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung zu erlassen, wenn sie nicht erforderlich ist. Die Vorlage der eidesstattlichen Versicherung dient der Glaubhaftmachung der im Antrag angegebenen Umstände.[6] Der in zulässiger Weise gestellte Antrag löst die Pflicht des Nachlassgerichts gem. § 26 FamFG zur umfassenden Ermittlung von Amts wegen aus. Das Nachlassgericht hat dann den Erbschein gem. § 352e Abs. 1 S. 1 FamFG zu erteilen, wenn es die zur Begründung des Antrags erforderlichen Tatsachen für festgestellt erachtet. Weil man von einem Gläubiger – anders als von einem Erben – nicht erwarten kann, dass ihm alle für das Erbrecht des Erben maßgeblichen Umstände aufgrund der familiären Verhältnisse bekannt sind, kommt der Amtsermittlungsverpflichtung im Falle der Beantragung eines Erbscheins durch den Gläubiger gem. § 792 ZPO besondere Bedeutung zu.[7] Die Anforderungen an die Angaben des Gläubigers dürfen damit nicht überspannt werden.

 

Rz. 9

Steht aufgrund der nicht in Zweifel zu ziehenden Angaben des Gläubigers fest, dass deren vertretungsberechtigte Organe keinerlei Kenntnisse von den das Erbrecht auslösenden bzw. beeinflussenden Umständen haben, erschiene das Bestehen auf der Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung gem. § 352 Abs. 3 S. 2 FamFG als bloße Förmelei.[8] Dabei ist insbesondere zu beachten, dass sich die eidesstattliche Versicherung des Gläubigers allein auf seine Kenntnis und sein Wissen, nicht aber auf ein gegebenenfalls noch in Kenntnis zu bringendes Wissen des Erben bezieht.[9] Die eidesstattliche Versicherung gem. § 352 Abs. 3 S. 2 FamFG ist le...

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