1. Der vorläufige Erbe

 

Rz. 100

Die Erbenstellung ist bis zur Annahme der Erbschaft nur vorläufig. Schlägt der Erbe die Erbschaft aus, so gilt der Anfall an ihn als nicht erfolgt (§§ 1942 Abs. 1, 1953 Abs. 1 BGB). Dann hat sich das Haftungsproblem für ihn erledigt, nicht aber für denjenigen, dem die Erbschaft an seiner Stelle anfällt (§ 1953 Abs. 2 BGB).

 

Rz. 101

Vor der Annahme der Erbschaft kann ein gegen den Nachlass gerichteter Anspruch gegen den Erben nicht geltend gemacht werden (§ 1958 BGB). Dies ist eine Prozessvoraussetzung und muss von Amts wegen beachtet werden (§§ 239 Abs. 5, 778, 779 ZPO). Das bedeutet, dass eine Klage gegen den Erben vor der Erbschaftsannahme unzulässig ist. Schlägt der Erbe die Erbschaft nach Klageerhebung aus oder erklärt er die Anfechtung der Annahme, kann der Kläger die Hauptsache für erledigt erklären (§ 91a ZPO).[120] Hat der Erbe nichts dazu getan, um vom Kläger als Erbe angesehen zu werden, sind dem Kläger die Kosten des Rechtsstreits aufzuerlegen.[121]

 

Rz. 102

Während dieses Schwebezustandes tritt auch trotz Mahnung kein Schuldnerverzug ein (§ 286 Abs. 4 BGB).[122]

 

Rz. 103

§ 1958 BGB gilt aber nicht bei Vorhandensein eines Testamentsvollstreckers (§ 2213 Abs. 2 BGB) und bei Anordnung der Nachlasspflegschaft (§ 1960 Abs. 3 BGB). Will ein Gläubiger eine Nachlassverbindlichkeit geltend machen, bevor der Erbe die Annahme erklärt hat, so muss er die Anordnung der Nachlasspflegschaft (§ 1961 BGB) beim zuständigen Nachlassgericht beantragen.[123]

 

Rz. 104

§ 1958 BGB wirkt sich im Verfahren auf Erteilung einer Vollstreckungsklausel in der Weise aus, dass vor Annahme der Erbschaft ein gegen den Erblasser gerichteter Titel nicht auf den Erben nach § 727 Abs. 1 ZPO umgeschrieben werden kann.[124]

[120] BGHZ 106, 359.
[121] LG Bonn FamRZ 2010, 750; AG Nordhorn NJW-RR 2007, 9.
[122] RGZ 79, 201; Staudinger/Mesina, § 1958 Rn 6; MüKo/Leipold, § 1958 Rn 18; Palandt/Weidlich, § 1958 Rn 4.
[123] MüKo/Leipold, § 1958 Rn 1; Palandt/Weidlich, § 1958 Rn 3.
[124] Stein/Jonas/Münzberg, § 727 Rn 24; Zöller/Seibel, § 727 Rn 14; Scheel, NotBZ 2000, 146.

2. Haftung nach Erbschaftsannahme

a) Die Dreimonatseinrede

 

Rz. 105

Auch nach Annahme der Erbschaft steht dem Erben die Einrede zu, die Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit innerhalb der ersten drei Monate nach Erbschaftsannahme zu verweigern (§ 2014 BGB). Das Gesetz gewährt dem Erben eine Schonfrist, damit er sich einen Überblick über den Nachlass verschaffen kann. Die Frist beginnt mit der Annahme der Erbschaft, also spätestens nach Ablauf der Ausschlagungsfrist; bei Bestellung eines Nachlasspflegers vor Erbschaftsannahme beginnt die Frist schon mit der Bestellung, § 2017 BGB. Die Bestellung des Nachlasspflegers erfolgt durch Beschluss des Nachlassgerichts.

Ergänzt wird § 2014 BGB durch § 305 ZPO: Im Prozess führt die Geltendmachung der Einrede zur Aufnahme des Vorbehalts der beschränkten Erbenhaftung in das Urteil. Um sich die Möglichkeit einer umfassenden Haftungsbeschränkung zu eröffnen, ist dem beklagten Erben zu empfehlen, nicht nur einen Antrag gem. § 305 ZPO zu stellen, sondern gleichzeitig auch den umfassenden Antrag gem. § 780 ZPO.

 

Rz. 106

 

Formulierungsbeispiel: Haftungsbeschränkungsvorbehalt

Für den Fall der ganzen oder teilweisen Stattgabe der Klage wird die Aufnahme zweier Haftungsbeschränkungsvorbehalte nach § 305 und § 780 ZPO in den Tenor des Urteils des Inhalts beantragt, dass dem Beklagten die Geltendmachung seiner Rechte aus § 2014 BGB sowie die Beschränkung seiner Haftung jeweils für Hauptanspruch, Nebenforderungen und Kosten auf den Nachlass des Erblassers (...) vorbehalten wird.

 

Rz. 107

Für die Zwangsvollstreckung gilt § 782 ZPO: Aufgrund des Vorbehalts ist eine etwaige Zwangsvollstreckung auf reine Sicherungsmaßnahmen (Pfändung ohne Verwertung, §§ 930932 ZPO) zu beschränken. Durchgesetzt wird der Vorbehalt mit der Vollstreckungsgegenklage, §§ 780 Abs. 1, 782, 785, 767 ZPO.

b) Aufgebotseinrede

 

Rz. 108

Das Gesetz gewährt dem Erben nach der Erbschaftsannahme eine weitere Schonungseinrede (§ 2015 BGB): Während des laufenden Aufgebotsverfahrens der Nachlassgläubiger kann der Erbe ebenfalls die Erfüllung einer Nachlassverbindlichkeit einredeweise verweigern. Auch hier soll dem Erben Gelegenheit gegeben werden, sich Klarheit über die Nachlassverbindlichkeiten und den Nachlassumfang zu verschaffen.

Das 9. Buch der ZPO wurde mit Inkrafttreten des FamFG aufgehoben; es gelten die Aufgebotsvorschriften der §§ 433 ff. FamFG.

 

Rz. 109

Folge der Erhebung der Einrede im Prozess ist ein Vorbehaltsurteil gem. § 305 ZPO und § 782 ZPO in der Vollstreckung. Um sich die Möglichkeit einer umfassenden Haftungsbeschränkung zu eröffnen, ist dem beklagten Erben zu empfehlen, nicht nur einen Antrag gem. § 305 ZPO zu stellen, sondern gleichzeitig auch den umfassenden Antrag gem. § 780 ZPO.

 

Rz. 110

 

Formulierungsbeispiel: Umfassender Haftungsbeschränkungsvorbehalt

Für den Fall der ganzen oder teilweisen Stattgabe der Klage wird die Aufnahme zweier Haftungsbeschränkungsvorbehalte nach § 305 und § 780 ZPO in den Tenor des Urteils des Inhalts beantragt, dass dem Beklagten d...

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