Rz. 6

Neben bspw. Verwirkung, Verzug, Mangelverteilung und Rangfragen sind an letzter Stelle – abgesehen von einer abschließenden allgemeinen Angemessenheitsprüfung – die Herabsetzung und Befristung des Unterhalts (§ 1578b BGB) zu prüfen.

Es stellt sich die Frage: ist die Fortdauer eines Unterhaltsanspruchs von 720 EUR unbillig[1] i.S.v. § 1578b BGB?

[1] Für eine vollständige Überarbeitung des Unterhaltsrechts in diesem Bereich plädiert Schürmann, Der Topos von der "nachehelichen Solidarität" und seine Grenzen, NZFam 2020, 837, 842, der zu Recht darauf hinweist, dass das Gesetz die Entscheidung über Angemessenheit und Billigkeit allein den subjektiv beeinflussten Gerechtigkeitsvorstellungen der einzelnen Richterinnen und Richter überantwortet.

1. Ausgangspunkt für die Überlegungen zur Begrenzung: Grundsatz der Eigenverantwortung

 

Rz. 7

Grundsatz der Eigenverantwortung

 

Begründung des Gesetzentwurfes A II:

"Die Ausweitung der Möglichkeit, nacheheliche Unterhaltsansprüche zeitlich oder der Höhe nach zu begrenzen, soll die Chancen für einen Neuanfang nach einer gescheiterten Ehe erhöhen und die Zweitfamilien entlasten."

Begründung des Gesetzentwurfs B, zu Artikel 1, zu Nummer 3, zu Satz 2:

 

"Besondere Bedeutung erlangt der Grundsatz der Eigenverantwortung auch bei der Auslegung von § 1578b des Entwurfes: Das Prinzip der Eigenverantwortung führt dazu, dass im konkreten Fall ein Unterhaltsanspruch – unter Wahrung der Belange eines gemeinschaftlichen, vom Berechtigten betreuten Kindes – umso eher beschränkt werden kann, je geringer die ehebedingten, auf der Aufgabenverteilung während der Ehe beruhenden Nachteile sind, die beim unterhaltsberechtigten Ehegatten infolge der Scheidung eintreten."

2. Inhalt des § 1578b

 

Rz. 8

Zum 1.3.2013 wurde § 1578b in Abs. 1 S. 2 und 3 geändert. Die Ehedauer wurde in Satz 2 des Absatz 1 ausdrücklich als weiterer Billigkeitsmaßstab aufgenommen. Dadurch wurde die Nennung der Ehedauer im Zusammenhang mit den ehebedingten Nachteilen in Satz 3 entbehrlich. § 1578b lautet:

 

§ 1578b BGB Herabsetzung und zeitliche Begrenzung des Unterhalts wegen Unbilligkeit

(1) Der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ist auf den angemessenen Lebensbedarf herabzusetzen, wenn eine an den ehelichen Lebensverhältnissen orientierte Bemessung des Unterhaltsanspruchs auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre.

Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, inwieweit durch die Ehe Nachteile im Hinblick auf die Möglichkeit eingetreten sind, für den eigenen Unterhalt zu sorgen, oder eine Herabsetzung des Unterhaltsanspruchs unter Berücksichtigung der Dauer der Ehe unbillig wäre.

Nachteile im Sinne des Satzes 2 können sich vor allem aus der Dauer der Pflege oder Erziehung eines gemeinschaftlichen Kindes sowie aus der Gestaltung von Haushaltsführung und Erwerbstätigkeit während der Ehe ergeben.

(2) Der Unterhaltsanspruch des geschiedenen Ehegatten ist zeitlich zu begrenzen, wenn ein zeitlich unbegrenzter Unterhaltsanspruch auch unter Wahrung der Belange eines dem Berechtigten zur Pflege oder Erziehung anvertrauten gemeinschaftlichen Kindes unbillig wäre.

Absatz 1 Satz 2 und 3 gilt entsprechend.

(3) Herabsetzung und zeitliche Begrenzung des Unterhaltsanspruchs können miteinander verbunden werden.

Die Änderung diente nur der Klarstellung des Willens des Reformgesetzgebers. Die Änderung des Wortlauts des § 1578b BGB hat also zu keinen Inhaltlichen Änderungen geführt.

§ 1578b ermöglicht einzelfallorientierte Billigkeitsentscheidungen.

 

BGH, Beschl. v. 15.12.2021 – XII ZB 557/20 Rn 52

Die abgestuften Beschränkungsmöglichkeiten erlauben es, einzelfallbezogen auf das Ausmaß einer Unbilligkeit zu reagieren (vgl. Wendl/Dose/Siebert, Das Unterhaltsrecht in der tatrichterlichen Praxis, 10. Aufl., § 4 Rn 1206). Ob und inwieweit der Unterhaltsanspruch ausgeschlossen ist, hängt jeweils von einer Würdigung der Umstände des Einzelfalls ab und ist damit grundsätzlich Gegenstand der Beurteilung des Tatgerichts (vgl. Senatsurteil BGHZ 150, 202 = FamRZ 2002, 810, 813), dem insoweit ein eigener Beurteilungsspielraum zukommt (vgl. Senatsurteile vom 27.4.1988 – IVb ZR 58/87, FamRZ 1988, 930, 933 und vom 15.2.2012 – XII ZR 137/09, FamRZ 2012, 779 Rn 36).

3. Anwendungsbereich des § 1578b BGB

 

Rz. 9

Ausgangspunkt ist, dass grundsätzlich alle Unterhaltsansprüche begrenzt (herabgesetzt und/oder befristet) werden können.

Eine Ausnahme vom Grundsatz der Begrenzbarkeit aller Unterhaltsansprüche bildet der Unterhalt wegen Kinderbetreuung.

Der Betreuungsunterhaltsanspruch

kann zwar nach § 1578b Abs. 2 der Höhe nach begrenzt werden,
aber er kann nicht nach § 1578b Abs. 1 zeitlich begrenzt werden, denn bereits seine Voraussetzungen enthalten eine zeitliche Schranke.

4. Prüfungsreihenfolge: Herabsetzung vor Befristung

 

Rz. 10

Zunächst ist die Herabsetzung zu prüfen.

 

BGH, Urt. v. 21.9.2011 – XII ZR 121/09

Bei der Prüfung der Unterhaltsbegrenzung nach § 1578b BGB ist zunächst eine Herabsetzung bis auf den eigenen angemessenen Bedarf nach § 1578b Abs. 1 BGB zu prüfen (vgl. Urt. v. 17.2.2010 – XII ZR 140/08, FamRZ 2010, 629, 633).

Denn die Herabsetzung ist für den Unterhaltsschul...

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