Rz. 72

Es ist noch nicht abschließend geklärt, ob die große Freiheit des Erblassers, die die aktuelle Rechtsprechung bietet, grenzenlos ist. So stellt sich die Frage, wie viel sich der Erblasser die zu erwartende Pflege kosten lassen darf. Auch hier werden für den Erblasser allerdings sehr großzügige Maßstäbe angelegt. Damit Rechtssicherheit für Erblasser und Beschenkten eintritt, wird keine wirtschaftliche Betrachtungsweise vorgenommen. Der Erblasser darf sich die ihm erbrachte oder noch zu erbringende Leistung auch etwas "kosten lassen".[122] Es wird daher nicht darauf abgestellt, ob die Altersversorgung "günstiger" hätte erreicht werden können, beispielsweise durch eine Pflegevereinbarung mit dem bereits bindend bedachten Erben.[123]

 

Rz. 73

Diese Einschätzung kann jedoch nicht schrankenlos gelten. Erforderlich ist eine Gesamtabwägung aller Umstände.[124] Es wird dazu beispielsweise eine Abwägung dieser Umstände nach den Kriterien Geeignetheit, Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit vorgenommen.[125] Diese Kriterien bedingen, dass feste Wertangaben oder Quoten nicht festgesetzt werden können.[126]

 

Rz. 74

Da der Vertrags- oder Schlusserbe, wie beschrieben, oft ein Beweisproblem bezüglich der behaupteten und schlüssig vorgetragenen Beweggründe des Erblassers haben wird, was die Feststellung eines Missbrauchs der Verfügungsmacht durch das Gericht unmöglich macht, kann der Anspruchsteller versuchen, die objektiv leichter feststellbaren Kriterien der Erforderlichkeit oder Verhältnismäßigkeit anzugreifen.

 

Rz. 75

Ein Erblasser, der über ein Millionenvermögen verfügt und dieses nach und nach zu Lebzeiten überträgt, da ihm bekannt ist, dass er aufgrund eines bindend gewordenen Testamentes nicht mehr neu testieren kann, wird gewiss einen Teil seines Vermögens zur Sicherung der Pflege im Alter aufwenden dürfen. Sicherlich darf der Erblasser den Beschenkten, beispielsweise wenn es sich um seinen Ehegatten handelt, so absichern, dass der gehobene Lebensstandard, der aufgrund des Vermögens des Erblassers auch dessen Ehegatten zugutekam, gehalten werden kann. Das bedeutet, dass die Pflegeperson beispielsweise durch Zahlung einer monatlichen Leibrente, die deutlich über einer Aufwandsentschädigung für Pflegeleistungen oder für das Entgelt einer professionellen Pflegeleistung liegen würde, abgesichert werden kann. Wenn aber der Bedachte, der Pflegeleistungen erbringen soll und auch tatsächlich erbringt, durch Zuwendungen so abgesichert ist, dass der (hohe) Lebensstandard ohne Weiteres über viele weitere Jahre hinweg gehalten werden kann, ist die weitere Übertragung von Vermögen nicht mehr zu rechtfertigen.

[123] Nieder/Kössinger/Kössinger/Zintl, § 12 Rn 12.
[124] OLG Hamm, Urt. v. 21.7.2009 – 10 U 30/09, BeckRS 2010, 03240.
[125] So Schindler, ErbR 2015, 526, 532 mit weiteren sehr ausführlichen Anmerkungen.
[126] OLG Köln, Beschl. v. 30.9.1991 – 2 W 140/91, NJW-RR 1992, 200; Schindler, ErbR 2015, 526, 532.

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