Rz. 59

Sofern Verfügungen in einem gemeinschaftlichen Testament wechselbezüglich gem. § 2270 BGB sind oder es sich um bindende Verfügungen in einem Erbvertrag gem. § 2289 BGB handelt, führt diese Bindung grundsätzlich zur Anwendbarkeit der §§ 2287, 2288 BGB. Danach hat der bindend bedachte Erbe einen Herausgabeanspruch nach Bereicherungsrecht, falls der Erblasser den Erben durch eine böswillige Schenkung im Sinne des § 2287 oder durch eine böswillige Verfügung im Sinne des § 2288 BGB beeinträchtigt hat. Der Anspruch entsteht jedoch erst mit dem Tod des Erblassers.

 

Rz. 60

Zu Lebzeiten schützen die Ansprüche wegen § 2286 BGB nicht gegen beeinträchtigende Verfügungen. Grundsätzlich erhält jeder Erbe nämlich nur das, was beim Eintritt des Erbfalls noch im Nachlass vorhanden ist. Das gilt selbstverständlich für jeden nicht bindend bedachten Erben. Es gilt jedoch gem. § 2286 BGB grundsätzlich auch für bindend bedachte Schlusserben eines gemeinschaftlichen Testamentes, da der Erblasser gem. § 2286 BGB zu Lebzeiten frei über sein Vermögen verfügen kann. Diese Verfügungsmacht wird durch eine erbrechtliche Bindung nicht eingeschränkt, auch nicht bei einem gemeinschaftlichen Testament, da § 2286 BGB hier nach dem Tod des Erstversterbenden entsprechend angewendet wird.[96] Es steht daher weder dem Vertragserben noch dem Erben aufgrund eines nach dem Tod des ersten Ehegatten bindend gewordenen gemeinschaftlichen Testamentes eine rechtlich gesicherte Anwartschaft auf das Vermögen des Erblassers zu, sondern lediglich eine tatsächliche Aussicht.[97] Da demnach kein Erwerbsanspruch besteht, sondern nur eine Erwerbsaussicht, kann diese auch nicht durch eine Vormerkung gesichert werden.[98] Es stellt sich somit die Frage, wie groß der Schutz durch § 2287 BGB tatsächlich ist.

[96] BGH, Urt. v. 11.5.1964 – III ZR 132/63, DNotZ 1965, 357.
[97] Nieder/Kössinger/Kössinger/Zintl, § 11 Rn 49.
[98] Nieder/Kössinger/Kössinger/Zintl, § 12 Rn 3.

a) Entwicklung der Rechtsprechung zu § 2287 BGB

 

Rz. 61

Durch die alte Rechtsprechung des BGH[99] waren bindend bedachte Erben durch § 2287 BGB bestens geschützt. Unter dem Schlagwort "Testamentsaushöhlung" wurden Verfügungen des gebundenen Erblassers fast vollständig unmöglich gemacht. Widersprach die Verfügung dem wirtschaftlichen Ziel des Erbvertrages oder gemeinschaftlichen Testamentes, wurde diese entweder wegen Umgehung des Gesetzes gem. § 134 BGB oder wegen Verstoßes gegen die guten Sitten gem. § 138 BGB für nichtig erklärt. Dieser Schutz des Erben wird heute jedoch seit der Abkehr des BGH von der Aushöhlungsnichtigkeit insgesamt abgelehnt.[100]

 

Rz. 62

Die alte Rechtsprechung des BGH führte dazu, dass der gebundene Erblasser praktisch gar nicht mehr zu Lebzeiten über sein Vermögen verfügen konnte, obwohl § 2286 BGB dies gerade ermöglichen sollte.[101] Daher wurde sodann auf das subjektive Element der Beeinträchtigungsabsicht abgestellt. Nur wenn eine böswillige Schenkung vorlag, sollte § 2287 BGB gelten. Diese Einschränkung allein führte jedoch ebenfalls noch zu keinem wesentlich besseren Ergebnis. Denn durch das Vorliegen einer Schenkung wurde das Vorliegen der Beeinträchtigungsabsicht indiziert. Dadurch dass der Erblasser bewusst sein Vermögen durch eine Schenkung minderte, musste er sich der Beeinträchtigung des Erben bewusst sein, also mit entsprechender Absicht handeln.[102]

 

Rz. 63

Als weitere Korrektur wurde daher das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal des lebzeitigen Eigeninteresses eingeführt, womit der BGH einen Missbrauch der Verfügungsmacht des § 2286 zu Lasten des bindend Bedachten prüft.[103] Danach schließt das Vorliegen eines vom Erben anzuerkennenden lebzeitigen Eigeninteresses des Erblassers an der beeinträchtigenden Verfügung die Beeinträchtigungsabsicht aus. Dabei ist das Eigeninteresse des Erblassers objektiv zu bewerten unter Berücksichtigung der jeweils gegebenen Umstände des Einzelfalls. Abzuwägen sind die Beweggründe des Erblassers für die beeinträchtigende Verfügung einerseits und die berechtigten Erberwartungen des bindend Bedachten andererseits. Dabei haben sich Fallgruppen entwickelt, bei deren Vorliegen grundsätzlich von einem lebzeitigen Eigeninteresse ausgegangen werden kann, z.B. wenn sich der Erblasser durch die Schenkung die Pflege bei Krankheit oder Alter sichern oder erhalten will.[104] Auch die Absicherung der Unternehmensnachfolge wird als anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse eingestuft.[105] Des Weiteren liegt ein anerkennenswertes lebzeitiges Eigeninteresse vor, wenn der Erblasser in der Erfüllung einer sittlichen Verpflichtung handelt, er etwa mit dem Geschenk einer Person, die ihm in besonderem Maße geholfen hat, seinen Dank ausdrücken will, aber auch, wenn es sich um eine Pflicht- oder Anstandsschenkung handelt, vergleichbar den in § 534 BGB normierten Gruppen, insbesondere gebräuchliche Gelegenheitsgeschenke z.B. zu Geburtstagen, zu Hochzeiten oder zu Weihnachten.[106]

[99] Z.B. BGH, Urt. v. 24.1.1958 – IV ZR 234/57, NJW 58, 547.
[101] BGH...

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