Rz. 119

Bei überschuldeten bzw. insolventen Angehörigen droht die Gefahr, dass die Gläubiger oder der Insolvenzverwalter sich aus dem Erb- oder Pflichtteil befriedigen und dadurch die Vermögenssubstanz für die Angehörigen und ihre Nachkommen nicht mehr zur Verfügung steht.[159] Daher werden bei der Gestaltung von Testamenten zugunsten überschuldeter oder insolventer Angehöriger üblicherweise folgende Ziele verfolgt:

Vermeidung der Pfändung und Verwertung durch die Eigengläubiger im Wege der Einzelvollstreckung
Vermeidung des Vermögenszugriffs des Insolvenzverwalters
keine Verletzung der Obliegenheitspflichten innerhalb der Wohlverhaltensphase (§ 295 InsO) um die Restschuldbefreiung nicht zu gefährden
möglichst umfassende Begünstigung des überschuldeten Erben nach der Beendigung der Überschuldung, insbesondere bei erfolgreicher Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens.
 

Rz. 120

Mit dem Erbfall geht im Wege der Universalsukzession und aufgrund des Prinzips des "Vonselbsterwerbs" automatisch die gesamte Erbschaft mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten auf den Erben über. Sind keine weiteren Anordnungen getroffen, so sind die im Nachlass befindlichen pfändbaren Vermögenswerte einer uneingeschränkten Pfändung durch die Gläubiger des Erben unterworfen. In dem Falle, dass der überschuldete Angehörige nur einen Erbteil erbt, ist dieser Erbteil pfändbar. Hat der Erblasser daher nicht durch eine entsprechende Testamentsgestaltung gegen diese Probleme vorgebeugt, so bleibt den Erben nur die Möglichkeit, in der sehr kurzen Ausschlagungsfrist des § 1944 Abs. 2 BGB die Erbschaft auszuschlagen. Eine solche Ausschlagung ist aufgrund der Wertung des § 83 InsO zulässig, denn wenn sogar der in einem Insolvenzverfahren befindliche Erbe sanktionslos die Erbschaft ausschlagen kann, so muss dies erst recht dem Erben möglich sein, gegen den nur Einzelvollstreckungsmaßnahmen zu befürchten sind.[160]

 

Rz. 121

Nimmt der Erbe die Erbschaft oder das Vermächtnis an, fällt dies in die Insolvenzmasse. Der erbrechtliche Erwerb wird damit Massebestandteil. Er steht dann den Insolvenzgläubigern zur Befriedigung ihrer Ansprüche zu. Der Insolvenzverwalter selbst hat keine Möglichkeit mehr, die Annahme oder Ausschlagung der Erbschaft oder des Vermächtnisses selbst zu erklären oder zu beeinflussen. Er kann auch die Erbschaft nicht im Ganzen von der Insolvenz freigeben. Jedoch besteht gem. § 83 InsO gerade keine Verpflichtung des Schuldners zur Annahme der Erbschaft oder des Vermächtnisses.

 

Rz. 122

Schlägt der Insolvenzschuldner die Erbschaft oder das Vermächtnis aus, so fällt der erbrechtliche Erwerb an den dann berufenen Erben oder Vermächtnisnehmer. Nach ganz herrschender Meinung kann die Ausschlagungsentscheidung des Insolvenzschuldners nicht nach den §§ 129 ff. InsO angefochten werden, was sich letztlich wiederum aus der Wertung des § 83 InsO ergibt. Da der Erwerb nicht endgültig eingetreten ist, wird die Masse nicht vermindert. Verzichtet der Insolvenzschuldner vor Eintritt des Erbfalls auf sein gesetzliches Erb- oder Pflichtteilsrecht, so gilt das zur Ausschlagung der Erbschaft Ausgeführte entsprechend, denn Gegenstand des Verzichts ist eine mehr oder weniger unsichere bloße "Erwerbschance".[161]

 

Rz. 123

Nach erfolgreichem Abschluss des Insolvenzverfahrens und Ablauf der Wohlverhaltensphase von sechs Jahren kann der Schuldner eine Restschuldbefreiung erlangen. Dann unterliegt der erbrechtliche Erwerb nicht mehr den vorstehend geschilderten Gefahren. Allerdings verlangt das Gesetz bis dahin die Einhaltung gewisser Obliegenheiten, damit eine solche Restschuldbefreiung erlangt werden kann. Hierzu bestimmt § 295 Abs. 1 Nr. 2 InsO, dass Vermögen, welches der Insolvenzschuldner innerhalb der Wohlverhaltensphase von Todes wegen erwirbt, zur Hälfte des Wertes an den Treuhänder zur Durchführung des Restschuldbefreiungsverfahrens herauszugeben ist. Allerdings betrifft diese Obliegenheit nach herrschender Meinung nur einen solchen erbrechtlichen Erwerb, den der Insolvenzschuldner tatsächlich angenommen hat. Schlägt er im Rahmen der erbrechtlichen Bestimmungen wirksam aus, so handelt es sich nur um einen vorläufigen Erwerb, so dass dies nach überwiegender Auffassung keinen Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht darstellt.[162] Gleiches gilt natürlich für einen vor Eintritt des Erbfalls abgegebenen Erb- oder Pflichtteilsverzicht.

 

Rz. 124

Wird ein pflichtteilsberechtigter Abkömmling enterbt, so steht ihm ein Pflichtteils- und ggf. auch Pflichtteilsergänzungsanspruch zu. Gemäß § 852 Abs. 1 ZPO ist der Pflichtteilsanspruch der Pfändung nur unterworfen, wenn er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig gemacht wurde. Nach der Rechtsprechung des BGH ist jedoch ein Pflichtteilsanspruch schon vor vertraglicher Anerkennung oder Rechtshängigkeit als in seiner zwangsweisen Verwertbarkeit aufschiebend bedingter Anspruch pfändbar. Der Anspruch ist dann ohne Einschränkung mit einem Pfandrecht belegt, darf aber erst verwertet werden, wenn die Vo...

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