(1) Sonderrechtsverhältnis bei Schadenentwicklung

 

Rz. 349

Bei einem Haftpflichtgeschehen (z.B. Verkehrsunfall) entsteht jedenfalls mit dem Unfall ein Sonderrechtsverhältnis, sodass sich die verletzte Person im Rahmen der der Schadenentwicklung und -abwicklung ein schuldhaftes Fehlverhalten seiner gesetzlichen Vertreter (z.B. Eltern) unmittelbar anspruchsmindernd zurechnen lassen muss (§§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB). Es bedarf keines Gesamtschuldnerinnenausgleiches mit dem weiteren Schadenersatzpflichtigen mehr.

 

Rz. 350

Soweit der Anspruch des Kindes wegen des elterlichen Fehlverhaltens gekürzt wird, haftet das schadenstiftende Elternteil als Einzelschuldner auf die vom weiteren Schädiger nicht ersetzten Schadenanteile.

(2) Sonderrechtsverhältnis zwischen Unfall und Schadeneintritt

 

Rz. 351

Ein Sonderrechtsverhältnis beginnt mit dem Schadenfall, aus dem grundsätzlich Ansprüche resultieren. Es müssen noch keine Ansprüche offenbar sein. Der Grundsatz der Schadeneinheit besagt, dass derjenige Schaden, der aus einem bestimmten Ereignis erwachsen ist, als einheitliches Ganzes aufzufassen ist. Es gibt nur einen Anspruch auf Ersatz dieses Schadens.[312]

 

Rz. 352

Bereits in der Zeit zwischen Begehung der unerlaubten Handlung und Schadeneintritt kann Fehlverhalten der Eltern anspruchsmindernd wirken (z.B. durch Unterlassen einer gebotenen medizinischen Untersuchung).[313]

[312] BGH v. 5.4.2016 – VI ZR 283/15 – MDR 2016, 1265 = NJW-RR 2017, 37 = NZI 2016, 893 = openJur 2016, 7320 = VersR 2016, 1058 (Der gesamte aus einer unerlaubten Handlung entspringende Schaden stellt sich nicht als Summe einzelner selbstständiger, nicht zusammenhängender Schäden, sondern als Einheit dar, die alle Folgezustände umfasst, die im Zeitpunkt der Erlangung allgemeinen Wissens um den Schaden überhaupt nur als möglich vorauszusehen waren); BGH v. 23.3.1987 – II ZR 190/86 – BGHZ 100, 228 = DB 1987, 1478 = MDR 1987, 644 = NJW 1987, 1887 = NJW-RR 1987, 925 (nur Ls.); BGH v. 4.4.1991 – IX ZR 215/90 – BB 1991, 999 = BGHZ 114, 150 (153) = DB 1991, 1320 = MDR 1991, 726 = NJW 1991, 2828 = WM 1991, 1088; BGH v. 14.3.1968 – VII ZR 77/65 – BGHZ 50, 21 = DB 1968, 848 = MDR 1968, 574 = NJW 1968, 1324 = WM 1968, 685; BGH v. 29.4.1953 – VI ZR 63/52 – BGHZ 9, 316 = NJW 1953, 977 (zu 2.b)cc)); Stiefel/Maier-Jahnke, Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl. 2017, § 115 VVG Rn 277. Siehe im Zusammenhang mit der Verjährung BGH v. 2.2.2017 – IX ZR 91/15 – BB 2017, 450 = DB 2017, 7 = MDR 2017, 395 = NJW 2017, 9 = VersR 2017, 693 = ZIP 2017, 21; BGH v. 16.11.1999 – VI ZR 37/99 – DAR 2000, 115 = JurBüro 2000, 331 (nur Ls.) = MDR 2000, 270 = NJW 2000, 861 = NZV 2000, 204 = r+s 2000, 110 = SP 2000, 86 = VersR 2000, 331 = VRS 98, 264 = zfs 2000, 150; BGH v. 3.6.1997 – VI ZR 71/96 – DAR 1997, 395 = NJW 1997, 2448 = NZV 1997, 395 = r+s 1997, 368 = VersR 1997, 1111 = zfs 1997, 365.
[313] BGH v. 1.3.1988 – VI ZR 190/87 – BGHZ 103, 338 = DAR 1988, 306 = DVBl 1988, 788 = FamRZ 1988, 810 = JR 1989, 60 (Anm. Dunz) = JuS 1989, 405 (Anm. Emmerich) = JZ 1989, 45 (Anm. Lange) = MDR 1988, 766 = NJW 1988, 2667 = NJW-RR 1988, 1300 (nur Ls.) = VersR 1988, 632 = zfs 1988, 238 (nur Ls.); BGH v. 31.3.1960 – III ZR 37/59 – BGHZ 33, 136 = FamRZ 1961, 28 = JR 1961, 20 = JZ 1962, 283 = MDR 1961, 33 = NJW 1961, 20; BGH v. 28.4.1952 – III ZR 118/51 – BGHZ 5, 378 = NJW 1952, 1050.

(3) § 254 Abs. 2 S. 2 BGB

(a) Obliegenheit

 

Rz. 353

Den Geschädigten trifft nach Eintritt des schädigenden Ereignisses die Obliegenheit, den Schaden abzuwenden oder zu mindern (§ 254 Abs. 2 S. 1 BGB). Dabei findet § 278 BGB entsprechende Anwendung (§ 254 Abs. 2 S. 2 BGB).[314]

 

Rz. 354

Bei der weiteren Schadenentwicklung und -abwicklung hat sich das verletzte Kind ein vorwerfbares Fehlverhalten (wie Verjährenlassen, Unterlassen schadenverhütender und schadenmindernder Maßnahmen) seiner gesetzlichen Vertreter nach §§ 254 Abs. 2 S. 2, 278 BGB anspruchsmindernd zurechnen zu lassen, sofern der gesetzliche Vertreter in Ausübung der gesetzlichen Vertretung handelt.[315] Personensorge (siehe § 1626 Abs. 1 S. 2 BGB) umfasst vor allem das Ergreifen ausreichender medizinischer Maßnahmen bei der Verletzungserkennung und Verletzungsbehandlung/-versorgung. Der Geschädigte muss sich der Hilfspersonen zur Erfüllung eines Gebotes des eigenen Interesses bedienen.[316] Für die Zurechnung des Verschuldens eines Dritten im Rahmen des § 254 Abs. 2 S. 2 BGB ist stets erforderlich, dass der Geschädigte einem derartigen Gebot unterliegt.

 

Rz. 355

Hervorzuheben ist, dass, auch wenn Eltern nach § 1629 Abs. 1 BGB grundsätzlich gemeinsam handeln, das obliegenheitswidrige Verhalten bereits eines Elternteiles den Mitverschuldensanteil gegenüber dem verletzten Kind und damit die Anspruchsminderung begründet.

 

Rz. 356

Es gilt hinsichtlich des elterlichen Fehlverhaltes nicht der geringere Maßstab des § 1664 BGB, sondern § 276 BGB (Anspruchsminderung auch bei einfacher Fahrlässigkeit).

[314] Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke-Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 25. Aufl. 2018, § 254 BGB Rn 278 ff.
[315] BGH v. 1.3.1988 – VI ZR 190/87 – BGHZ 103, 338 = DAR 1988, 306 = DVBl 1988, 788 = FamRZ 1988, 810 = JR 1989, 60 (Anm. Dunz) = JuS 1989, 40...

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