1. Allgemeine Maßstäbe

 

Rz. 993

Ausgangspunkt zur Bestimmung des Inhalts der Amtspflicht zur Sicherung öffentlicher Verkehrswege ist der allgemeine deliktsrechtliche Grundsatz, dass jeder, der durch die Eröffnung eines Verkehrs auf seinem Grundstück Gefahrenquellen schafft, alle Maßnahmen zu treffen hat, die zum Schutze Dritter notwendig sind.[3033] Allerdings ist eine Verkehrssicherung, die jede Gefahr und jeden Unfall ausschließt, schlechterdings nicht erreichbar. Nicht jede Gefahrenquelle ist auch eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle. Es kommt auch auf die berechtigten Sicherheitserwartungen der Nutzer an.[3034]

 

Rz. 994

Dies vorausgeschickt darf der Verkehrsteilnehmer darauf vertrauen, dass er vor nicht ohne Weiteres erkennbaren Gefahren geschützt wird und dabei in erster Linie vor solchen Gefahren, die generell zu besonders schweren Schäden führen können. Der Sicherungspflichtige darf seinen Pflichtenkreis daran bemessen, dass sich der Benutzer der Verkehrsflächen in verständiger Weise auf erkennbare Gefahren einstellt und sich vor ihnen selbst absichert. Je offensichtlicher sich eine Gefahr darstellt und vor sich selbst warnenden Charakter hat oder je eher mit ihr zu rechnen ist, desto geringer sind die berechtigten Sicherheitserwartungen und desto mehr kann der Sicherungspflichtige darauf vertrauen, dass die Benutzer ihr Verkehrsverhalten darauf einstellen. Zunächst ist Maßstab der berechtigte Verkehr und die zweckentsprechende Nutzung der Verkehrsfläche. Ist für den Sicherungspflichtigen aber zu erkennen oder zu erwarten, dass beispielsweise Beschränkungen aus der Widmung der Verkehrsfläche nicht beachtet werden, hat er diese zweckwidrige Nutzung bei erforderlichen Sicherungsmaßnahmen einzustellen.[3035] Naheliegendes Fehlverhalten ist zu berücksichtigen.[3036] Jedoch kann nicht mehr nachvollziehbares Fehlverhalten Dritter nicht mehr zu Lasten des Verkehrssicherungspflichtigen gehen.[3037] Darüber hinaus gilt, dass der Nutzer einer Straße die Verkehrsfläche in demjenigen Zustand hinzunehmen hat, in dem sie sich ihm erkennbar darbietet.[3038] Der sicherungspflichtige Baulastträger ist danach nicht verpflichtet, eine Verkehrsfläche, die sich in einem allgemein schlechten Zustand befindet, auszubauen und in einen Zustand zu versetzen, der jede Beeinträchtigung des Verkehrs ausschließt.[3039] Das ändert nichts daran, dass unter Umständen auf einen allgemein gefahrträchtigen Zustand durch Warnungen hinzuweisen sein kann, etwa in einem abrupten Übergangsbereich bei schlechter Erkennbarkeit im Dunkeln.

[3034] BGH VersR 2014, 1349; OLG Hamm, Urt. v. 21.11.2018, I-11 U 156/17.
[3035] OLG Köln VersR 1992, 1241 f.
[3036] BGH VersR 1990, 498.
[3038] BGHZ 108, 273.
[3039] BGHZ 54, 165.

2. Zumutbarkeit, Kontrolle, Warnung

 

Rz. 995

Die Sicherungspflicht für öffentliche Straßen und Wege umfasst nur zumutbare und verhältnismäßige Maßnahmen. Das Kriterium der Zumutbarkeit hat sowohl eine wirtschaftliche als auch eine organisatorische Komponente. Bei qualifizierten Gefahren, die zu besonders schweren Schäden führen können, sowie bei Unfallschwerpunkten kann der Straßennutzer aber stets darauf vertrauen, dass der Sicherungspflichtige Abhilfe- oder Warnmaßnahmen ergreift. Unzumutbar sind dagegen generell vorbeugende Maßnahmen, soweit nicht im Einzelfall mit dem sicheren Eintritt von nicht beherrschbaren Gefahren gerechnet werden muss.

 

Rz. 996

Vorbeugenden Charakter haben allerdings Kontrollpflichten des Sicherungspflichtigen, nach denen der Verkehrsweg regelmäßig darauf zu überprüfen ist, ob neue Schäden entstanden und Sicherungsmaßnahmen zu ergreifen sind.[3040] Von dieser Kontrollpflicht werden alle möglichen Gefahrenquellen erfasst, die sich aus der Anlage der Straße und ihren Bestandteilen, ihrem Ausbauzustand und ihrer ständigen Belastung sowie aus den zu erwartenden Einwirkungen von anliegenden Grundstücken ergeben können. In diesem Zusammenhang sind auch technische Vorschriften wie die DIN von Bedeutung,[3041] berufsgenossenschaftliche Sicherheitsbestimmungen und sonstiges fachspezifisches Erfahrungswissen (z.B. bei der Kontrolle von Straßenbäumen die "Baumkontrollrichtlinien – Richtlinie für Regelkontrollen zur Überprüfung der Verkehrssicherheit von Bäumen" der Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e.V. [FLL], kurz: FLL-Richtlinien). Ob und in welchem Umfang die Verkehrsflächen auf mögliche Gefahren zu überwachen sind, hängt wiederum von dem Maß der drohenden Gefahr, der Anlage der Straße, ihrer Verkehrsbedeutung und davon ab, in welchem Umfang Kontrollen den sicherungspflichtigen Körperschaften auch wirtschaftlich zumutbar sind.

 

Rz. 997

Zur Organisation von Kontrollen bedarf es innerbehördlicher Vorkehrungen. Fehlt es daran, kann eine Vermutung dafürsprechen, dass bei Durchführung von Kontrollen ein konkretes Unfallereignis vermieden worden wäre.[3042]

 

Rz. 998

Liegt eine abhilfebedürftige Gefahrenquelle vor und wird sie der sicherungspflich...

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