Rz. 664

Nach § 278 BGB hat der Schuldner ein Verschulden seines gesetzlichen Vertreters und derjenigen Personen, deren er sich zur Erfüllung seiner Verbindlichkeit bedient, wie eigenes Verschulden zu vertreten. Die Vorschrift ist keine Anspruchsgrundlage, sondern eine Zurechnungsnorm für fremdes Verschulden. Sie gilt nur innerhalb bestehender Schuldverhältnisse für das Verschulden von Erfüllungsgehilfen und bietet keine Entlastungsmöglichkeit. Außerhalb von Schuldverhältnissen haftet der Geschäftsherr nach § 831 BGB für eigenes Auswahl- und Überwachungsverschulden in Bezug auf seinen Verrichtungsgehilfen mit Entlastungsmöglichkeit nach § 831 Abs. 1 S. 2 BGB. Die im Verhältnis zu § 831 BGB schärfere Haftung innerhalb bestehender Schuldverhältnisse beruht auf dem Gedanken, dass jeder Schuldner für den eigenen Geschäfts- und Gefahrenkreis gegenüber seinen Gläubigern verantwortlich ist und dass hierzu auch die Tätigkeit seiner Hilfspersonen gehört.[1936] Der Schuldner muss das Risiko eines fehlerhaften Verhaltens seines Gehilfen deshalb tragen, weil dieser auf seine Veranlassung objektiv eine Aufgabe übernimmt, die im Verhältnis zum Gläubiger ihm selbst, dem Schuldner, obliegt.[1937] Wer den Vorteil der Arbeitsteilung in Anspruch nimmt, soll auch deren Nachteil tragen, nämlich das Risiko, dass der an seiner Stelle handelnde Gehilfe schuldhaft rechtlich geschützte Interessen des Gläubigers verletzt.[1938] Nach ähnlichen Grundsätzen soll dem Geschäftsunfähigen das Haftungsrisiko für seinen gesetzlichen Vertreter zukommen, weil er mittels dessen Tätigkeit und im eigenen Interesse am Rechtsverkehr teilnimmt.[1939]

[1937] BGH, Urt. v. 18.11.1982 – VII ZR 25/82, NJW 1983, 448; BGH, Urt. v. 21.9.2000 – I ZR 135/98, VersR 2001, 526.
[1938] BGH, Urt. v. 23.11.1995 – IX ZR 213/94, VersR 1996, 202.
[1939] Staudinger/Caspers, BGB, Neub. 2019, § 278 Rn 3.

1. Vorausgesetzte Sonderverbindung

 

Rz. 665

§ 278 BGB setzt eine Sonderverbindung voraus. Jedes gesetzliche oder vertragliche Schuldverhältnis reicht dazu aus, ggf. auch ein öffentlich-rechtliches wie z.B. ein Nutzungsverhältnis[1940] oder die Unterbringung in einem Krankenhaus oder einer Heilanstalt.[1941] Gesetzliche Schuldverhältnisse entstehen durch Vorgänge, an die das Gesetz eine Haftung unmittelbar anknüpft;[1942] auf welchem Grund dies beruht, ist unerheblich. § 278 gilt deshalb auch für die Freigabeverpflichtung des Pfandgläubigers gegenüber einem nach § 771 ZPO berechtigten Dritten[1943] und für die Schonungspflicht des durch Grunddienstbarkeit Berechtigten gegenüber dem Eigentümer.[1944] Vertragliche Schuldverhältnisse entstehen durch Vertragsschluss oder bei der Anbahnung eines Vertrages. Eine Sonderverbindung entsteht auch durch Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter.

 

Rz. 666

Auch auf sachenrechtliche Beziehungen ist § 278 BGB anzuwenden, soweit sich aus ihnen ein gesetzliches Schuldverhältnis ergibt.

Beispiele hierfür sind:

das Eigentümer-Besitzer-Verhältnis,[1945]
das Verhältnis zwischen Wohnungseigentümern[1946] und
das nach § 1020 BGB bestehende Verhältnis zwischen den Eigentümern herrschender und dienender Grundstücke.[1947]

Nicht anwendbar ist die Vorschrift auf den Besitzerwerb[1948] und das nachbarrechtliche Gemeinschaftsverhältnis.[1949]

 

Rz. 667

Die schlichte Rechtsgemeinschaft jedoch kann nicht Grundlage für die Anwendung des § 278 BGB sein,[1950] ebenso wenig die gemeinsame Benutzung eines Kinderspielplatzes.[1951]

 

Rz. 668

Eine Zurechnung nach § 278 BGB bei unerlaubten Handlungen ist ebenfalls ausgeschlossen; hierfür gelten die Sondervorschriften der §§ 831, 31 BGB, Art. 34 GG.[1952] § 278 BGB kann jedoch auf einen Schadensersatzanspruch angewandt werden, der nach seiner Rechtsnatur Merkmale rechtsgeschäftlicher und deliktischer Haftung enthält, selbst wenn letztere überwiegen.[1953]

[1940] BGH, Urt. v. 17.5.1973 – III ZR 68/71, BGHZ 61, 7, 11; BGH, Urt. v. 7.7.1983 – III ZR 119/82, VersR 1984, 38.
[1941] BGH, Urt. v. 13.12.1951 – III ZR 144/50, BGHZ 4, 138; zur Abgrenzung bei zwangsweiser Unterbringung vgl. BGH, Urt. v. 24.9.1962 – III ZR 201/61, VersR 1962, 1173.
[1942] BGH, Urt. v. 17.1.1985 – IX ZR 59/84, VersR 1985, 475.
[1944] BGH, Urt. v. 28.6.1985 – V ZR 111/84, NJW 1985, 2944.
[1945] KG, Urt. v. 23.11.1994 – 24 U 1428/94, NJW-RR 1996, 495; offengelassen von BGH, Urt. v. 30.9.2003 – XI ZR 232/02, NJW-RR 2004, 45.
[1947] BGH, Urt. v. 28.6.1985 – V ZR 111/84, NJW 1985, 2944.
[1948] BGH, Urt. v. 9.2.1955 – IV ZR 188/54, NJW 1955, 866.
[1949] BGH, Urt. v. 10.12.1976 – V ZR 235/77, NJW 1977, 375.
[1950] BGH, Urt. v. 26.3.1974 – VI ZR 203/72, NJW 1974, 1189.
[1951] BGH, Urt. v. 1.3.1988 – VI ZR 190/87, VersR 1988, 632.
[1952] BGH, Urt. v. 25.10.1951 – III ZR 95/50, BGHZ 4, 1.
[1953] BGH, Urt. v. 17.1.1985 – IX ZR 59/84, VersR 1985, 475.

2. Gesetzlicher Vertreter

 

Rz. 669

Gesetzlicher Vertreter ist jeder, der aufgrund gesetzlicher Vorschriften ...

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