Rz. 1

Bußgeldsachen im Straßenverkehr treten in der Praxis massenhaft auf, weshalb die Gerichte sich in erheblichem Umfang mit ihnen befassen.[1] Um die Funktionstüchtigkeit der Rechtspflege gewährleisten zu können, hat die Rechtsprechungspraxis daher bei standardisierten Messverfahren den Verfahrensgang vereinfacht. Aufgrund des geringeren Unrechtsgehalts von Ordnungswidrigkeiten ist diese Vereinfachung verfassungskonform, wie das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung vom 12.11.2020 nunmehr bestätigt hat. Die Aufklärungs- und Feststellungspflichten des Amtsgerichts bleiben reduziert, bis der Betroffene bzw. die Verteidigung selbst konkrete Anhaltspunkte für eine Fehlerhaftigkeit der Messung rechtzeitig und in der gebotenen Form darlegt.[2] Es gibt keine Amtsermittlung;[3] die Verteidigung muss ihre Einsichtsrechte proaktiv und vor der Hauptverhandlung geltend machen.[4]

Das Institut des standardisierten Verfahrens ist der Dreh- und Angelpunkt der meisten hier thematisierten Messungen, in welchem die widerstreitenden Interessen der Beteiligten kulminieren. Für den Betroffenen als rechtlichen Laien ist es nur schwer verständlich, wenn die Überprüfbarkeit im Einzelfall leidet. Aufgrund der schieren Masse der Verfahren tendieren viele Behörden und Gerichte dazu, die ermöglichte Vereinfachung zugunsten einer schnelleren Fallbearbeitung auszudehnen. Die Verteidigung ist hier in besonderem Maße gefordert, systematisch vorzugehen und durch sauber formulierte Anträge zum richtigen Verfahrenszeitpunkt den gesetzlich gebotenen Prüfungsumfang des Tatgerichts zu erweitern.

 

Rz. 2

 

Präzise Argumente sind hier entscheidend!

Bereits bei der Lektüre einer kleinen Zahl beliebiger Entscheidungen der Rechtsbeschwerdegerichte wird schnell klar: Die Erfolgsquote der Rechtsbeschwerden ist nicht zuletzt deswegen dürftig, weil ein erheblicher Teil der Anwaltschaft zum jeweiligen Messverfahren die falschen Argumente vorbringt oder aber die richtigen Argumente zum falschen Zeitpunkt. Wie nachfolgend aufgezeigt wird, lässt sich dies leicht vermeiden.

 

Rz. 3

Ein standardisiertes Messverfahren liegt vor bei einem durch Normen vereinheitlichten, bewährten Messgerät, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und der Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind.[5] Ob es sich beim eingesetzten Messgerät jeweils um ein standardisiertes Messverfahren in diesem Sinne handelt, wird nachfolgend im technischen Teil thematisiert.

Menschliche Handhabungsfehler müssen nicht ausgeschlossen sein, jedoch muss das Messgerät von seinem Bedienpersonal auch standardmäßig verwendet werden, das heißt in geeichtem Zustand, seiner Bauartzulassung entsprechend und gemäß der vom Hersteller vorgegebenen Bedienungsanweisung. Dies gilt auch und gerade bei den der Messung vorausgehenden Gerätetests.[6]

 

Rz. 4

Wird die Messung als standardisiertes Messverfahren angesehen, hat dies zur Folge, dass sich der Tatrichter grundsätzlich im Urteil beschränken kann auf

das gewählte Messverfahren (durch Bezeichnung des Messgeräts),
die gewährte Toleranz (hierauf verzichten die OLG teilweise sogar, wenn sich aus der Bezeichnung des Messgeräts die gewährte Toleranz ergibt),
das so ermittelte vorwerfbare Messergebnis oder
die Einhaltung der Bedingungen des Messverfahrens (Bedienungsanweisung und Eichung).[7]
 

Rz. 5

Weitere Darlegungen sind nur erforderlich, wenn sich Besonderheiten/Unregelmäßigkeiten aus der Akte ergeben oder vom Betroffenen geltend gemacht werden. Bereits einfache Eingabefehler durch das Bedienpersonal können eine erweiterte Darlegungspflicht begründen.[8]

 

Rz. 6

 

Praxistipp

Die Verteidigung muss diese weitere Darlegung also erst aktivieren.[9]

 

Rz. 7

Bislang wurden technische Messsysteme grundsätzlich als standardisierte Messverfahren angesehen, sofern ihre Bauart von der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) zur innerstaatlichen Eichung zugelassen war.[10] Hierdurch sollen die Ermittlungsbehörden und Gerichte von der Einzelfallprüfung und von der Sachverständigenbegutachtung entlastet werden.[11]

 

Rz. 8

Jedenfalls überprüft die PTB die einzelnen Messverfahren in Kenntnis der Daten, welche im Bußgeldverfahren vorenthalten werden. Die Überprüfung durch die PTB selbst ist jedoch wiederum gerichtlich nicht nachvollziehbar. Hatte nach der alten Fassung der Eichgesetze die PTB noch die Stellung einer staatlichen Oberbehörde mit Zulassungsmonopol, ist dies nun nicht mehr der Fall. Die Ersteichung und Bauartzulassung entfällt gem. § 37 Abs. 1 S. 2 MessEG. An ihrer statt[12] tritt die sog. Konformitätsbewertung gem. § 6 Abs. 3 MessEG, § 9 MessEV, welche von einer privaten Konformitätsstelle durchzuführen ist. Solange es solche privaten Stellen noch nicht gibt, übernimmt die PTB diese Aufgabe gem. § 14 Abs. 3 S. 3 MessEG. Bereits eingesetzte Geräte mit einer PTB-Zulassung vor dem 1.1.2015 bedürfen erst ab dem 1.1.2025 einer Konformitätsbewertung. Bis dahin gilt für sie die alte Regelung.

Insoweit ist zumi...

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