Rz. 21

Mit der Änderung des § 2057a BGB sollte die Pflege des Erblassers bei der Verteilung des Nachlasses verstärkt berücksichtigt werden. Pflegende Abkömmlinge sollten bessere Chancen auf einen materiellen Ausgleich haben.[49]

Die Änderung kann damit begründet werden, dass der pflegende Abkömmling hilft, den Nachlass zu bewahren. Mit der Stärkung der Ausgleichsansprüche pflegender Nachkommen verfolgt der Gesetzgeber aber nicht nur Gerechtigkeitsziele.

Er kann sich insbesondere auch nicht darauf berufen, dass damit eine allgemeine Motivation der Erblasser aufgegriffen wird. Sicher wird aus Dank für Hilfe im Alter vererbt ("Pur durch Tausch motiviertes Vererben") und Zuwendungen und Hilfe im Alter werden strategisch erkauft durch das in Aussichtstellen einer entsprechenden Berücksichtigung bei der Erbaufteilung ("Strategisches Vererben"). Stutz und Bauer fassen diese Motivationen in der Oberkategorie "Durch Tausch motiviertes Vererben" zusammen.[50]

 

Rz. 22

Daneben existieren aber auch noch andere Motivationen des Vererbens, die als "altruistisch" bezeichnet werden. Beim "Pur altruistischen Vererben" hat die Liebe zu ihren Kindern die Eltern dazu gebracht, die Präferenzen der Kinder in die eigene Nutzenfunktion zu integrieren und deren Bedürfnisse genauso wie die eigenen zu berücksichtigen. Wollen die Eltern an ihre Kinder das weitergeben, was sie selber ererbt haben, wird dies "Retrospektives Vererben" genannt. Schließlich definieren beim "Paternalistischen Vererben" die Eltern, was gut für ihre Kinder ist, und versuchen, ihnen einen entsprechenden Nachlass zu hinterlassen.

Zu beachten ist, dass beim Erblasser selbstverständlich auch mehrere Motive relevant sein können. Einen Sonderfall stellen gemeinschaftliche Testamente dar, für die Ehegatten mitunter einen Kompromiss finden müssen oder ein Ehegatte seine Bedürfnisse gänzlich zurückstellt.

 

Rz. 23

Zudem werden Motive vom Erblasser häufig nicht in einer letztwilligen Verfügung oder auch in Gesprächen oder durch das Verhalten zu Lebzeiten offenbart oder sind dem Erblasser selbst nicht gewahr, da eine Auseinandersetzung mit dem Thema nicht akut ist oder vermieden wird.

Von einer Dankbarkeit des gepflegten Erblassers gegenüber dem Pflegenden soll hier ausgegangen werden. Schon die Annahme, dass diese Pflege auch durch einen späteren Ausgleich bei der Erbteilung vergütet werden soll, ist aber nicht zwangsläufig. So kann bei Eltern durchaus der Gedanke vorherrschen, dass der Nachlass unter den Kindern unabhängig von Pflegeleistungen am Lebensende verteilt werden soll. Dies kann damit begründet werden, dass eine Reduzierung auf den letzten Lebensabschnitt unangebracht wäre. So kann ein Abkömmling zwar zuletzt nicht für eine Pflege zur Verfügung gestanden haben, aber zu früheren Zeiten die Eltern durch Mithilfe im Betrieb, direkte, finanzielle oder sonstige tatkräftige Hilfe unterstützt haben. Es kann durch die Pflege im Alter auch "lediglich" ein Ausgleich geschaffen werden, wenn die Eltern wiederum den einem Abkömmling zu früheren Zeiten mehr unterstützt hatten, sei es nun direkt im Erwerbsleben oder indirekt durch die Betreuung der Enkel, die bei einem anderen Kind nicht versorgt werden mussten.

 

Rz. 24

Schließlich könnten Eltern trotz Dankbarkeit für die Pflege deren Nichtberücksichtigung bei der Erbteilung wünschen und sogar als selbstverständlich voraussetzen. Von Leistungen der Pflegeversicherung können pflegende Angehörige zudem – selbstverständlich meist nicht leistungsäquivalent – profitieren, wie auch durch Zahlungen der gepflegten Person selbst (Zuschüsse zu Miete und Lebenshaltungskosten, zusätzliche Schenkungen).

Dominiert bei dem Gepflegten die Motivation des retrospektiven Vererbens, will er also selbst Ererbtes weitergeben, kann er eine Ungleichbehandlung der pflegenden und nicht-pflegenden Kinder in Kauf nehmen.

Zudem kann für einen Erblasser die Gleichbehandlung der Kinder unabhängig von deren lebzeitigen Leistungen ein Gerechtigkeitsgrundsatz sein. Schließlich könnten auch unterschiedliche Grade an Bedürftigkeit der Kinder (die Verteilung erfolgt unabhängig von dem Wohlstand der Abkömmlinge) und deren tatsächliche Möglichkeit zur Pflege (eigene gesundheitliche Defizite oder berufs- bzw. wohnortbedingte Abwesenheit) berücksichtigt werden.

 

Rz. 25

Es erscheint vielmehr, dass der Gesetzgeber auch aus eigenen Interessen in diesem Punkt an der Schließung einer "Gerechtigkeitslücke" interessiert war. Die Pflege älterer Personen belastet den Staat und die Sozialversicherungssysteme zunehmend. Auf verschiedenen Ebenen sollen die Angehörigen motiviert werden, selbst zu pflegen, statt teurere, professionelle Angebote in Anspruch zu nehmen. Neben Maßnahmen im Rahmen der Pflegeversicherung wie Pflegegeld, einer der Elternzeit angelehnten Pflegezeit und steuerlichen wie rentenversicherungsrechtlichen Vorteilen ist die Berücksichtigung von Pflege beim Erbe ein Mittel, ein staatspolitisches Ziel zu erreichen.

Die Überlegungen zeigen, dass in der Diskussion um die Regelun...

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