Rz. 6

Ebenfalls über das Ziel der Festschreibung der bisherigen Rechtslage weit hinaus ging die im Referentenentwurf angedachte Vermutungsregelung des § 611a Abs. 3 BGB RefE-I. Danach sollte das Bestehen eines Arbeitsvertrages widerleglich vermutet werden, wenn die Deutsche Rentenversicherung Bund nach § 7a SGB IV das Bestehen eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt hat. Dies hätte eine massive Verschiebung der Beweislast zu Lasten der Arbeitgeberseite nach sich gezogen. Unabhängig davon, dass man darüber streiten kann, ob eine solche Verschiebung der Beweislast zugunsten der Arbeitnehmerseite sachgerecht ist,[9] hätte die Vermutungswirkung zu einer Vermengung zwischen dem sozialrechtlichen Begriff des Beschäftigten und dem davon abzugrenzenden Arbeitnehmerbegriff des Arbeitsrechts geführt. Eine solche Synchronisierung ließe sich zwar in der umgekehrten Richtung rechtfertigen, da grundsätzlich ein Beschäftigungsverhältnis anzunehmen ist, soweit ein Arbeitsverhältnis nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen vorliegt. Da der Begriff der Beschäftigung aber weiter reicht als der des Arbeitsverhältnisses, verbietet es sich umgekehrt von der Beschäftigung auf ein Arbeitsverhältnis zu schließen.[10] Dies ergibt sich nicht nur aus der ständigen Rechtsprechung von BSG und BAG, die die jeweilige Unabhängigkeit der beiden Begriffe betonen, sondern ebenso bereits aus der Formulierung des § 7 SGB IV, der Beschäftigung als nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, definiert. Das Wort "insbesondere" impliziert bereits, dass der Beschäftigtenbegriff weitere Fälle umfasst, bei denen eben kein Arbeitsverhältnis vorliegt, auch wenn beide Begriffe in der großen Mehrzahl der Fälle (ca. 95 %)[11] deckungsgleich sind.

 

Rz. 7

Als Paradebeispiel für ein Auseinanderfallen beider Begriffe lässt sich die unterschiedliche Behandlung von Gesellschaftsorganen, insbesondere GmbH-Fremdgeschäftsführern, im Arbeits- und Sozialrecht anführen. GmbH-Geschäftsführer sind zwar weitgehend sozialversicherungspflichtig, jedoch nach bisheriger (nationaler) Auffassung nicht als Arbeitnehmer zu qualifizieren.[12] Das BAG hat erst jüngst festgehalten, dass selbst der Fremdgeschäftsführer einer GmbH Arbeitgeberfunktionen wahrnehme und deshalb nicht einmal eine arbeitnehmerähnliche, sondern eine arbeitgeberähnliche Person sei.[13] Unabhängig von der mittlerweile überholten Auffassung, dass sich Gesellschaftsorgane generell nicht auf arbeitsrechtliche Schutzvorschriften berufen können, kann von der Sozialversicherungspflicht jedenfalls grundsätzlich nicht auf die Arbeitnehmereigenschaft geschlossen werden. So ging auch das BSG davon aus, dass mit dem Statusfeststellungsverfahren nach § 7a SGB IV in der bis zum 31.3.2022 geltenden Fassung grundsätzlich nur das Vorliegen bzw. Nichtvorliegen der Versicherungspflicht aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses festgestellt werden könne. Das Verfahren diene hingegen nicht der Feststellung der Elemente einer abhängigen Beschäftigung.[14] Hinzu kommt, dass die Erfahrung aus sozialgerichtlichen Prozessen zeigt, dass viele Feststellungen der Sozialversicherungsträger (grob) fehlerhaft sind. Die Prüfung erfolgt schon aus Zeitgründen häufig nur sehr kursorisch, sodass erstmals im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle eine exakte Tatsachenermittlung und Subsumtion stattfinden. Auch nach der Neuregelung des Statusfeststellungsverfahrens gem. § 7a SGB IV zum 1.4.2022 wird das Abgrenzungsproblem nicht gelöst sein. Die Deutsche Rentenversicherung Bund soll nunmehr den Beschäftigtenstatus an sich feststellen, bleibt aber naturgemäß der sozialversicherungsrechtlichen Betrachtungsweise verpflichtet. Arbeitgebern ist zwar die Nutzung des neuen Gruppenfeststellungs- und Prognoseverfahrens zur Minimierung sozialversicherungsrechtlicher (und strafrechtlicher) Risiken auch in Arbeitnehmerüberlassungskonstellationen zu empfehlen. Für die arbeitsrechtlichen Abgrenzungsfragen erscheint der Wert des Verfahrens nach § 7a SGB IV aber weiterhin begrenzt.

 

Rz. 8

Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass das Kanzleramt den Referentenentwurf ganz zu Recht an das BMAS zur grundlegenden Überarbeitung zurückgegeben hat. Der Entwurf des § 611a BGB hätte zu einer ungerechtfertigten und einseitigen Belastung der Arbeitgeberseite sowie einem unnötigen Anstieg von sozialgerichtlichen Prozessen geführt. Die ihm zugrundeliegenden Vorstellung, über pauschalisierte Indizien lasse sich eine trennscharfe Grenzziehung herbeiführen, wird der Vielfalt der Praxis nicht gerecht. So sieht sich auch die ähnlich ausgestalte Fassung des § 4 des österreichischen Arbeitskräfteüberlassungsgesetzes heftiger Kritik ausgesetzt. Danach soll eine Arbeitskräfteüberlassung insbesondere vorliegen, wenn die Arbeitskräfte ihre Arbeitsleistung im Betrieb des Werkbestellers in Erfüllung von Werkverträgen erbringen, aber kein von den Produkten, Dienstleistungen und Zwischenergebnissen des Werkbestellers abweichendes, unterscheidbares und dem Werkunterneh...

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