Rz. 530

Der Begriff der "Verwirkung" betrifft im Regelfall eine gegen den allgemeinen Rechtsgrundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) verstoßende späte Rechtsausübung.[2030] Er wird aber auch für einen – ebenfalls auf diesen Grundsatz gestützten – Rechtsverlust wegen pflichtwidrigen Verhaltens verwendet.[2031] Dies gilt insb. für die Vorschrift des § 654 BGB, nach welcher der Makler bei unzulässiger Doppeltätigkeit seinen Provisionsanspruch verliert.[2032] Über den Wortlaut dieser Bestimmung weit hinausgehend kommt nach den von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen eine Provisionsverwirkung auch bei anderweitigen besonders schwerwiegenden Treuepflichtverletzungen des Maklers in Betracht.[2033] Hierin liegt heute der Hauptanwendungsbereich dieser Norm.[2034]

 

Rz. 531

Das RG[2035] hat die Vorschrift des § 654 BGB entsprechend auf den Anwaltsvertrag dahin angewandt, dass eine vorsätzliche oder fahrlässige Verletzung wesentlicher Vertragspflichten des Rechtsanwalts zum Verlust der Vergütung führen könne. Der BGH[2036] ist dieser Rechtsprechung nur insoweit gefolgt, als lediglich ein vorsätzlicher, nach § 356 StGB strafbarer Parteiverrat den anwaltlichen Vergütungsanspruch ausschließt. Eine fahrlässige Pflichtverletzung, sei sie auch grober Art, hat eine solche Wirkung nicht.[2037] Ein Verstoß des Anwalts gegen die Pflicht zur Vermeidung von Interessenkollisionen (43a Abs. 4 BRAO) führt daher nur dann zum Ausschluss einer Gebührenforderung, wenn der Anwalt mit dem Bewusstsein und dem Willen gehandelt hat, pflichtwidrig Parteien mit entgegengesetzten Interessen beruflichen Rat oder Beistand zu gewähren.[2038] Nur ein solcher Verstoß nimmt der Tätigkeit des Rechtsberaters den Wert einer anwaltlichen Leistung.[2039]

Der Rechtsgedanke des § 654 BGB ist grds. auch auf den Steuerberatervertrag anwendbar.[2040] Die Vergütung eines Steuerberaters für eine zulässige Wirtschaftsberatung ist bei einer schwerwiegenden Treuepflichtverletzung des Beraters dann jedenfalls nicht ohne weiteres verwirkt, wenn der Dienstberechtigte gem. § 626 BGB fristlos gekündigt hat und zu dessen Gunsten § 628 Abs. 1 S. 2 BGB – keine Vergütung bei Interessewegfall – eingreift.[2041]

Ein Anspruch einer GbR auf Maklerprovision muss nicht deswegen entsprechend § 654 BGB verwirkt sein, weil ein Gesellschafter, der Rechtsanwalt ist, für die Gegenseite tätig geworden und dies nicht offengelegt worden ist.[2042]

[2030] BGHZ 25, 47, 51 f. = NJW 1957, 1358; BGHZ 105, 290, 298 = NJW 1989, 836.
[2031] Vgl. BGHZ 55, 274, 277 = NJW 1971, 1127; BGH, NJW 1984, 1529, 1530; BGH, NJW-RR 1997, 348, 349; so nunmehr auch die amtliche Überschrift des § 654 BGB. Zur Unschärfe dieser Begriffsbildung s. D. Fischer, Maklerrecht anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Kap. VIII Rn 7, 11.
[2032] BGHZ 48, 344 = NJW 1968, 150.
[2033] BGHZ 36, 323 = NJW 1962, 734; BGH, NJW 1981, 2297; BGH, NJW-RR 2003, 991; BGH, NJW-RR 2005, 1423, 1424; BGH, 18.10.2012 – III ZR 106/11, NJW 2012, 3718, Tz. 16; D. Fischer, Maklerrecht anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Kap. VIII Rn 9 ff.
[2034] D. Fischer, Maklerrecht anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Kap. VIII Rn 1 ff..
[2035] RGZ 113, 264, 269; HRR 1935 Nr. 725.
[2036] BGH, NJW 1963, 1301, 1303; BGH, NJW 1981, 1211, 1212; vgl. BGH, NJW-RR 1988, 352, 353; BGH, WM 1999, 970, 972 f. (Syndikus); OLG Nürnberg, AnwBl. 1971, 175, 176; OLG München, NJW 1997, 1313, 1314; vgl. ferner D. Fischer, FS Kayser, 2019, S. 183 ff.
[2037] BGH, NJW 1981, 1211, 1212; BGH, NJW 2004, 2817; BGH, 23.4.2009 – IX ZR 167/07, NJW 2009, 3297, Tz. 39 = WM 2009, 1249; BGH, 12.5.2011 – III ZR 107/10, WM 2011, 1524, Tz. 28. Anders dagegen bei einer Geschäftsbesorgung (Geldanlagevertrag). Hier kann bereits eine grob leichtfertige Treuepflichtverletzung zur Verwirkung der Verwaltungsgebühr führen, BGH, 9.12.2010 – IX ZR 60/10, WM 2011, 364, Tz. 14.
[2038] BGH, NJW 1981, 1211, 1212; BGH, 23.4.2009 – IX ZR 167/07, NJW 2009, 3297, 3301 = WM 2009, 1249, Tz. 39.
[2040] D. Fischer, Maklerrecht anhand der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Kap. VIII Rn 83.
[2041] BGH, 12.5.2011 – III ZR 107/10, WM 2011, 1524, Tz. 27, 29 (Steuerberater als Sanierungsberater).
[2042] BGH, NJW 2000, 3067, 3068 = WM 2000, 1546.

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