Rz. 285

Ein in einem Rechtsstreit geschlossener Vergleich hat einen doppelten Rechtscharakter.[1106] Zum einen ist ein Vergleich eine Prozesshandlung, welche die Beendigung eines Rechtsstreits herbeiführt und deren Wirksamkeit sich nach den Grundsätzen des Prozessrechts richtet. Insb. muss die Partei in einem Anwaltsprozess (§ 78 ZPO) beim Abschluss des Vergleichs von einem postulationsfähigen Rechtsanwalt vertreten werden. Ein gerichtlich protokollierter Vergleich (§§ 160 ff. ZPO) begründet einen Titel, aus dem die Zwangsvollstreckung betrieben werden kann (§ 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Ein Vergleich muss inhaltlich – wie alle Vollstreckungstitel – hinreichend bestimmt sein.[1107]

Andererseits ist ein Vergleich ein privatrechtlicher Vertrag, für den die Vorschriften des BGB, insb. § 779 BGB, gelten. Ein gerichtlicher Vergleich ersetzt durch die Aufnahme der Erklärungen in ein nach den Vorschriften der ZPO errichtetes Protokoll nicht nur eine notarielle Beurkundung (§ 127a BGB), sondern auch alle anderen privatrechtlichen Formerfordernisse. Da die Prozesshandlung nur die "Begleitform" für einen materiell-rechtlichen Vergleich ist, verliert sie ihre Wirksamkeit, wenn der materielle Vergleich seinerseits unwirksam ist oder wird. Der Anwalt darf deshalb nicht zum Abschluss eines Vergleichs raten, der eine nichtige Verpflichtung enthält (z.B. Verpflichtung zur Errichtung eines Testaments, die nach § 2302 BGB nichtig ist[1108]), die ihrerseits im Zweifel die Unwirksamkeit der gesamten Vergleichsvereinbarung zur Folge hat (§ 139 BGB). Kommt hingegen wegen formeller Mängel ein Prozessvergleich nicht wirksam zustande, führt dies nicht ohne weiteres zur Unwirksamkeit der materiell-rechtlichen Vereinbarung. Die Vereinbarung kann als außergerichtlicher, materiell-rechtlicher Vergleich i.S.d. § 779 BGB Bestand haben, soweit dies dem hypothetischen Parteiwillen entspricht.[1109]

[1106] RGZ 161, 253, 255; BGHZ 16, 388, 390; BGHZ 28, 171, 172; BGH, NJW 1985, 1962, 1963; OLG Köln, NJWE-VHR 1997, 133; BGH, 30.9.2005 – V ZR 275/04, BGHZ 164, 190, 193 f. = WM 2005, 2253.
[1107] OLG Hamm, NJW 1974, 652.
[1109] BGHZ 16, 388, 390; BGH, NJW 1985, 1962, 1963; OLG Köln, NJWE-VHR 1997, 133; OLG Oldenburg, BauR 2008, 1347.

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