Rz. 153

Ein Rechtsanwalt ist nach Übernahme des Mandats verpflichtet, den rechtlich relevanten Sachverhalt zu ermitteln (vgl. Rdn 37–51). Dazu gehört die Pflicht, Beweise zu sichern.[662]

[662] Vgl. BGH, NJW 1993, 2676, 2677; BGH, WM 1992, 701, 702 ff.; Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn 501 ff.; Vollkommer/Greger/Heinemann, § 10 Rn 23.

aa) Befragung des Auftraggebers

 

Rz. 154

Ein Rechtsanwalt muss geeignete Beweismittel ermitteln, indem er den Auftraggeber hierzu gezielt befragt.[663] Allerdings ist der Rechtsanwalt nicht verpflichtet, in irgendeiner Form an Zeugen heranzutreten, um zu klären, wie diese im Fall einer Vernehmung aussagen werden. Eine derartige "Parteivernehmung" von Zeugen wird von der Rechtsprechung als bedenklich bezeichnet. Sie könne dazu führen, dass der Beweiswert einer Zeugenaussage gemindert und der Rechtsanwalt dem Verdacht einer unzulässigen Zeugenbeeinflussung ausgesetzt werde.[664] Dabei ist jedoch auch zu beachten, dass es in der Praxis vielfach unumgänglich ist, zur Ermittlung der einer Klage oder Klageerwiderung zugrunde zu legenden Tatsachen und zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines Rechtsstreits mit möglichen Zeugen Kontakt aufzunehmen. Vgl. dazu auch Rdn 42.

Steht kein Beweismittel zur Verfügung und hat deshalb eine wichtige Klage keine oder nur geringe Aussicht auf Erfolg, ist zu prüfen, ob der Anspruch abgetreten werden kann, um die Partei sodann als Zeugen benennen zu können.[665] Ist eine Abtretung nicht möglich, etwa wegen eines Abtretungsverbotes, sind andere Möglichkeiten zu erwägen, etwa auch die Ablösung des Geschäftsführers einer GmbH, damit dieser anschließend als Zeuge benannt werden kann.[666] Diese Möglichkeiten samt ihren Vor- und Nachteilen sind mit dem Mandanten zu erörtern und dessen Entscheidung ist einzuholen. Denn ob etwa im Hinblick auf die Bedeutung des Rechtsstreits eine Auswechslung des Geschäftsführers trotz der damit verbundenen Risiken zweckmäßig und vertretbar ist, kann allein der Mandant entscheiden. Der Rechtsanwalt darf aber wegen solcher Gefahren nicht schon von einer Beratung über diese Möglichkeit absehen.[667]

[663] Weitgehend BGH, VersR 1961, 467, 469; vgl. auch OLG Köln, NJW 1986, 725 f.; sowie Fahrendorf, in: Fahrendorf/Mennemeyer, Rn 501.
[664] BGH, VersR 1965, 710, 712; vgl. auch RGZ 140, 392, 397 f.

bb) Feststellungen durch den Auftraggeber

 

Rz. 155

Zur Vorbereitung eines Prozesses, in welchem ein substanziierter Vortrag zu Ursachen, Art und Umfang des Schadens erwartet wird, ist der mit der Prozessvertretung beauftragte Rechtsanwalt verpflichtet, entsprechende Feststellungen zu veranlassen und Beweise zu sichern.[668] Der BGH leitet diese Pflicht aus der allgemeinen Pflicht des Rechtsanwalts ab, i.R.d. ihm erteilten Auftrages seinen Auftraggeber allgemein und umfassend zu belehren, seine Belange nach jeder Richtung wahrzunehmen und die Geschäfte so zu erledigen, dass Nachteile für ihn möglichst vermieden werden (vgl. Rdn 5).

Die Verpflichtung zur Beweissicherung gilt insb. dann, wenn zu befürchten ist, dass solche Feststellungen später nicht mehr nachgeholt werden, Beweismittel verloren gehen oder in Zukunft nur schwer zugänglich sein können. Unter solchen Umständen ist regelmäßig die Einleitung eines selbstständigen Beweisverfahrens nach §§ 485 ff. ZPO angebracht. Kommt es für die Feststellungen nicht auf besondere Sachkunde an, kann der Rechtsanwalt auch in anderer Weise dafür sorgen, dass der Mandant in einem späteren Prozess zu substanziierten Darlegungen und zum Beweis in der Lage ist. Dann kann die Einholung eines Privatgutachtens oder eine Beweissicherung durch den Mandanten selbst ausreichen.[669] Die Einholung eines Privatgutachtens kommt auch dann in Betracht, wenn Mandant und Anwalt nicht genügend Sachkunde für einen eigenen substanziierten Vortrag haben, etwa bei der Frage, ob Beschwerden unfallbedingt sind.[670]

In einem vom BGH entschiedenen Fall waren die in einem Modegeschäft vorhandenen Waren durch Feuchtigkeit beschädigt worden, die in die gemieteten Geschäftsräume eingedrungen war. Die von dem Geschäftsinhaber beauftragten Rechtsanwälte handelten nach Ansicht des Senats pflichtwidrig, weil sie nicht veranlasst hatten, die Beschädigung der einzelnen Kleidungsstücke vor der späteren Veräußerung beweiskräftig festzuhalten, um für eine Klage gegen den Verursacher den Schaden nach Art und Umfang darlegen und belegen zu können. Nachdem die Ware veräußert worden war, war nicht mehr festzustellen, ob, wie und in welchem Umfang die Einzelteile tatsächlich beschädigt worden waren. Die Rechtsanwälte hätten nach Ansicht des BGH den Auftraggeber darauf aufmerksam machen müssen, dass vor dem Verkauf beschädigter Waren deren Zustand entweder

durch einen Sachverständigen,
durch Personen, die später als Zeugen in Betracht kommen, oder
durch den Auftraggeber selbst im Beisein solcher Personen

festgehalten ...

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