Rz. 119

Die Entscheidung über die volle oder teilweise Nichtberücksichtigung einer Person oder mehrerer unterhaltsberechtigter Personen trifft das Vollstreckungsgericht grds. nach billigem Ermessen. Im Rahmen der Ermessensentscheidung ist auch zu berücksichtigen, ob die dem Schuldner gegenüber zum Unterhalt berechtigte Person (hier die Ehefrau des Beschwerdeführers) ihrerseits Unterhaltspflichten hat. Weiterhin ist die Unterhaltsverpflichtung der Ehefrau gegenüber ihrem minderjährigen Kind bei der Frage zu berücksichtigen, ob sie über bedarfsdeckendes Einkommen verfügt.[182] Hat der Schuldner den pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens z.B. zur Sicherung eines Darlehens abgetreten und stellt der Sicherungsnehmer später einen Antrag nach § 850c Abs. 6 ZPO, ist das Vollstreckungsgericht mangels Vorliegens eines "Vollstreckungsverfahrens" nicht zuständig.[183]

 

Rz. 120

Pfändet ein Unterhaltsgläubiger das Arbeitseinkommen des Schuldners zeitlich vor einem weiteren Gläubiger, ist der Unterhaltsgläubiger bei der nachrangigen Pfändung nach § 850c ZPO als weitere unterhaltsberechtigte Person zu berücksichtigen. Einem Antrag nach § 850c Abs. 6 ZPO auf Nichtberücksichtigung des Unterhaltsberechtigten kann nicht entsprochen werden.[184]

 

Rz. 121

Vor Erlass des Pfändungsbeschlusses darf jedoch nicht über einen Antrag nach § 850c Abs. 6 ZPO entschieden werden.[185] Unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit sind alle in Betracht kommenden Umstände des Falls und insbes. die Belange und Interessen des Gläubigers und des Schuldners objektiv gegeneinander abzuwägen.[186]

 

Rz. 122

Für die Entscheidung des Vollstreckungsgerichts ist die Höhe der eigenen Einkünfte des Unterhaltsberechtigten von maßgeblicher Bedeutung. Auch der Lebensbedarf ist bei der Entscheidung zu berücksichtigen, der aus dem Arbeitseinkommen des Schuldners zu bestreiten ist. An die Prüfung sollen allerdings keine überspannten Anforderungen gestellt werden, um das Vollstreckungsverfahren praktikabel zu halten.[187]

 

Rz. 123

Allerdings hat der BGH[188] in seiner ersten Entscheidung zu § 850c Abs. 4 ZPO a.F. (jetzt § 850c Abs. 6 ZPO) v. 21.12.2004 klar zum Ausdruck gebracht, dass die auf Antrag des Gläubigers vom Vollstreckungsgericht zu treffende Bestimmung unter Einbeziehung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles und nicht lediglich nach festen Berechnungsgrößen zu erfolgen hat. Im Anschluss daran geht der BGH[189] aber kurze Zeit später dazu über, festzustellen, dass dies aber nicht ausschließt, sich in diesem Rahmen an bestimmten Berechnungsmodellen zu orientieren. Ermessensfehlerhaft ist es lediglich, dieselbe Berechnungsformel unterschiedslos auf verschiedenartige Fallgestaltungen anzuwenden. In einem weiteren Beschluss hierzu stellt der BGH[190] nochmals klar, dass die Höhe des eigenen Einkommens für die Entscheidung einer Nichtberücksichtigung sich nicht schematisch am Grundfreibetrag des § 850c Abs. 1 ZPO orientieren darf, sondern grds. im Einzelfall individuell zu entscheiden ist. Erneut betont der BGH in seiner Entscheidung vom 3.11.2011,[191] dass sich bei der Anwendung dieser Vorschrift jede schematisierende Betrachtungsweise verbietet. Das Gericht hat vielmehr seine Entscheidung nach billigem Ermessen unter Abwägung der wirtschaftlichen Lage des Gläubigers und des Schuldners sowie der von ihm unterhaltenen Angehörigen zu treffen. Dabei können Pfändungsfreibeträge und Unterhaltstabellen Anhaltspunkte für die Ausübung des Ermessens geben. Eine bloß einseitige Orientierung an bestimmten Berechnungsmodellen scheidet jedoch aus, weil sie dem Sinn des § 850c Abs. 6 ZPO widerspricht.

 

Rz. 124

Dem BGH ist im Grunde zuzustimmen; das erste Urteil war allerdings wenig praxistauglich, da bei der Anwendung auf den konkreten Fall weder für den Gläubiger noch für den Schuldner das jeweilige Ergebnis leicht absehbar war.

 

Rz. 125

Die Einkünfte des Unterhaltsberechtigten müssen daher geeignet sein, den Lebensbedarf mit abzudecken, und dürfen nicht anderweitig zweckgebunden oder z.B. zur Bestreitung berufsbedingter Mehraufwendungen benötigt werden. Zu den "eigenen Einkünften" des Unterhaltsberechtigten, die dessen Berücksichtigung bei der Berechnung des unpfändbaren Teils des Arbeitseinkommens einschränken oder ausschließen können, gehört auch der von anderen Unterhaltsverpflichteten gezahlte Barunterhalt.[192] In einer weiteren Entscheidung bleibt der BGH bei seiner Linie und ergänzt, dass auch der von anderen Unterhaltsverpflichteten gewährte Naturalunterhalt zu berücksichtigen ist.[193] Nach dem Sachverhalt bezieht der Schuldner ein durchschnittliches Nettoeinkommen in Höhe von monatlich 1.794,83 EUR. Er lebt mit seiner Ehefrau und den beiden gemeinsamen minderjährigen Kindern in häuslicher Gemeinschaft. Seine Ehefrau verfügt über eigene Einkünfte in Höhe von monatlich 1.980,00 EUR. Sie gewährt den Kindern Naturalunterhalt. Kindergeld wird in keinem Falle als Einkommen gewertet.[194] Eine Ausbildungsförderung nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz ist jedoch als eigen...

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