1. Begriff

 

Rz. 60

Eine Gefahrerhöhung liegt vor, wenn sich die vom Versicherer bei Vertragsabschluss vorausgesetzte Gefahrenlage ungünstig verändert und eine generell höhere Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Versicherungsfalls oder die Vergrößerung des Schadenumfanges begründet wird.

 

Rz. 61

Gefahrerhöhung ist abzugrenzen von der bloßen Gefahrsteigerung. Einmalige, kurzfristige Gefahränderungen stellen im Allgemeinen keine Gefahrerhöhung dar, z.B. Benutzung eines abgefahrenen Reservereifens auf der Fahrt zur nächsten Werkstatt[71] oder ein ungenügendes Anziehen der Handbremse bei Parken auf einer Gefällstrecke.[72] Gefahrerhöhung liegt erst dann vor, wenn sich die geänderte Gefahrenlage auf einem erhöhten Niveau für eine gewisse Dauer stabilisiert hat.[73] Das Benutzen eines verkehrsunsicheren Fahrzeugs über eine einmalige Gefährdungshandlung hinaus ist allerdings Gefahrerhöhung.[74] Ein wochenlang unrepariert bleibendes Pkw-Seitenfenster führt in der Kaskoversicherung zu einer dauerhaften Gefahrerhöhung.[75] Gleiches gilt für die Benutzung eines Kfz-Hinterreifens ohne Profil.[76] Hingegen stellt das dauerhafte Belassen des Kfz-Scheins im Fahrzeug in der Kaskoversicherung keine erhebliche Gefahrerhöhung für das Entwendungsrisiko dar.[77]

 

Rz. 62

Zu unterscheiden ist zwischen den drei Tatbeständen des

§ 23 Abs. 1 VVG (subjektive, gewollte Gefahrerhöhung, die vom Versicherungsnehmer vorgenommen bzw. gestattet wird),
§ 23 Abs. 2 VVG (nicht unverzügliche Anzeige einer nachträglich erkannten subjektiven oder objektiven Gefahrerhöhung),
§ 23 Abs. 3 VVG (objektive, nicht veranlasste Gefahrerhöhung, die ohne oder gegen den Willen des Versicherungsnehmers eintritt).
[71] OLG Hamm VersR 1988, 1260.
[72] OLG Hamm r+s 1996, 50.
[73] BGH VersR 1952, 387; 1971, 407; 1986, 693.
[74] BGH VersR 1990, 80; OLG Hamm VersR 1991, 51.
[75] OLG Hamm VersR 1996, 448.
[76] OLG Saarbrücken zfs 2003, 127.

2. Vornahme einer Gefahrerhöhung

 

Rz. 63

Nach § 23 Abs. 1 VVG trifft den Versicherungsnehmer die Gefahrstandspflicht. Er darf die Gefahrenlage nicht nachträglich durch Vornahme oder Gestatten einer Gefahrerhöhung zu Lasten des Versicherers verändern.

Die Vornahme einer Gefahrerhöhung i.S.d. § 23 Abs. 1 VVG kann nur durch aktives Tun, nicht jedoch durch ein Unterlassen des Versicherungsnehmer verwirklicht werden.[78] In der Kfz-Haftpflicht- und Fahrzeugversicherung wird allerdings angenommen, dass das Unterlassen einer Reparatur eines nicht verkehrssicheren Fahrzeugs und die anschließende Benutzung dieses Fahrzeugs eine "vorgenommene" und damit gewollte Gefahrerhöhung darstellen.[79] Das OLG Kob­lenz[80] hat entschieden, es liege eine gewollte Gefahrerhöhung vor, wenn der Versicherungsnehmer dauernd einen Zweitschlüssel im Kfz-Innenraum aufbewahrt.

 

Rz. 64

In subjektiver Hinsicht erfordert die Gefahrerhöhung positive Kenntnis des Versicherungsnehmers von dem gefahrerhöhenden Umstand;[81] aber den gefahrerhöhenden Charakter dieses Umstandes braucht er nicht zu kennen.[82] Wenn also der Versicherungsnehmer mit abgefahrenen Reifen fährt, muss er zwar den Zustand der Reifen kennen, nicht jedoch die Kenntnis besitzen, dass das Fahrzeug mit solchen Reifen leichter verunfallen kann. Mangelhafte Einbauten in ein Kraftfahrzeug stellen im Rahmen der Kraftfahrtversicherung nur dann eine subjektive Gefahrerhöhung dar, wenn der Versicherungsnehmer die Mangelhaftigkeit kennt.[83] Der positiven Kenntnis steht es gleich, wenn sich der Versicherungsnehmer der Kenntnis von dem gefahrerhöhenden Umstand arglistig entzieht.[84] Die Anforderungen sind streng. Von Arglist kann nicht bereits deshalb ausgegangen werden, weil sich der Versicherungsnehmer um die Verkehrssicherheit seines Fahrzeugs nicht hinreichend gekümmert hat.[85]

 

Rz. 65

Der Nachweis der Gefahrerhöhung obliegt dem Versicherer. Gleiches gilt für die Kenntnis des Versicherungsnehmers von der Gefahrerhöhung.

[78] BGH VersR 1981, 245; 1982, 33; 1987, 653 und 921; OLG Hamm VersR 1988, 49; OLG Köln r+s 1990, 400 und 421.
[79] BGH VersR 1990, 80; OLG Düsseldorf VersR 2004, 1408; LG Aachen r+s 1990, 361; OLG Hamm r+s 1989, 2, 137 und 207; OLG Celle r+s 1991, 114, 117; vgl. auch OLG Stuttgart VersR 1997, 1142 und OLG Nürnberg NVersZ 1999, 437 (Übertragung auf fahruntüchtige Fahrer, Epileptiker).
[80] VersR 1998, 233.
[81] BGH VersR 1968, 1155; OLG Hamm r+s 1989, 2.
[82] BGH VersR 1986, 1153; 1977, 341; 1982, 793; OLG Köln VersR 1990, 1226; OLG Stuttgart VersR 1997, 1142.
[83] OLG Karlsruhe r+s 2013, 542.
[84] BGH VersR 1982, 793; OLG Köln VersR 1990, 1226; OLG Hamburg VersR 1996, 1095; OLG Düsseldorf VersR 2004, 1408.
[85] OLG Düsseldorf VersR 2004, 1408; OLG Frankfurt zfs 2005, 246 (jeweils für abgefahrene Reifen).

3. Objektive Gefahrerhöhung

 

Rz. 66

Sofern der Versicherungsnehmer einen Fahrzeugschlüssel verliert, keine Sicherungsmaßnahmen ergreift und das Fahrzeug sodann entwendet wird, liegt nach BGH[86] eine ungewollte Gefahrerhöhung (§ 23 Abs. 3 VVG) vor.

[86] VersR 1996, 703, 704; OLG Celle VersR 2005, 640.

4. Rechtsfolgen

 

Rz. 67

Erlangt der Versicherungsnehmer...

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