Rz. 270

Ist es nicht zu einem Zusammenstoß mit dem Wild gekommen, weil der Fahrer ausgewichen ist, liegt kein Wildschaden im Sinne von A.2.2.1.4 AKB 2008 vor. Der Versicherungsnehmer kann bei Schäden infolge eines Ausweichmanövers aber einen Anspruch auf Rettungskostenersatz gem. §§ 90, 83 VVG haben. Durch § 90 VVG ist die "Vorerstreckungstheorie" für den Bereich der Sachversicherung gesetzlich normiert worden. Es reicht schon nach dem Wortlaut der Norm, dass der Zusammenstoß unmittelbar bevorstand.[393]

 

Rz. 271

Voraussetzung für den Anspruch auf Ersatz von Rettungskosten ist zunächst, dass die Rettungshandlung objektiv das versicherte Interesse betrifft und auf die Abwendung des vom Versicherungsschutz umfassten Schadens abzielt. Das ist nicht der Fall, wenn die Rettungshandlung das Leben des Tieres schützen soll. Es genügt auch nicht, wenn die Abwendung des versicherten Schadens lediglich Reflexwirkung einer Rettungshandlung des Versicherungsnehmers ist.[394]

 

Rz. 272

Aufwendungen für Rettungsmaßnahmen sind auch dann zu erstatten, wenn nicht der Versicherungsnehmer, sondern ein Dritter die Rettungsmaßnahme durchführte.[395] Der Aufwand und die Gefährdung müssen in einem angemessenen Verhältnis zum möglichen Schaden stehen.[396] Ersetzt werden nur Folgen von Fahrmanövern, die der Fahrer nach den Umständen für geboten erachten durfte (§ 83 Abs. 1 VVG). Das entfällt zumindest bei kleineren Tieren wie Fuchs, Hase, Kaninchen, Dachs usw.[397] Es ist umstritten, ob bei einer nicht gebotenen Rettungshandlung kein Versicherungsschutz besteht oder zu kürzen ist.[398] Nach Auffassung des OLG Saarbrücken besteht auch bei einem nicht gebotenen Ausweichen zumindest gekürzter Rettungskostenersatz.[399] Ein in den AKB vereinbarter Verzicht auf den Einwand der groben Fahrlässigkeit ­bezieht Rettungshandlungen mit ein, so dass bei einem solchen Verzicht ungekürzter Versicherungsschutz besteht, wenn vor einem kleineren Tier ausgewichen wird, da eine grob fahrlässige Verkennung der Gebotenheit der Rettungsmaßnahme dann nicht vorgeworfen werden kann.[400]

 

Rz. 273

Als Rettungskosten wegen Vermeidung eines Wildschadens in der Teilkaskoversicherung sind bis zur Grenze des Wiederbeschaffungswertes – allerdings ohne Abzug der Selbstbeteiligung[401] – Reparaturkosten auf Gutachtenbasis ohne Restwertabzug zu ersetzen.[402] Lösegeld für die Rückgabe eines entwendeten Kfz ist unter dem Gesichtspunkt der Rettungskosten ersatzfähig;[403] ebenso der gesetzliche Finderlohn.[404]

[393] Vor der Reform ebenfalls herrschende Auffassung, vgl.: BGH VersR 1991, 459 (Vorerstreckung); vgl. insgesamt Müller, VersR 2000, 533; Knappmann, VersR 2002, 129.
[394] Grundlegend BGH VersR 1994, 1181; a.A. OLG Oldenburg zfs 2005, 24.
[395] BGH NJW 1991, 1609.
[396] BGH VersR 1997, 351; OLG Köln r+s 1997, 52.
[397] BGH VersR 1997, 351; 1992, 349; OLG Köln r+s 1992, 295; 1993, 205; 1997, 52; 1998, 365; OLG Hamm r+s 1995, 6; VersR 1999, 46; OLG Düsseldorf r+s 1993, 450; OLG Schleswig VersR 1996, 843; OLG Nürnberg r+s 1997, 359; OLG Naumburg r+s 1997, 359; OLG Karlsruhe r+s 1999, 404; OLG Koblenz VersR 2004, 469; LG Marburg NZV 2006, 425; vgl. auch OLG Koblenz r+s 2000, 97 (Rettungskostenersatz bei Reh bejaht).
[398] Zum Meinungsstand: Stiefel/Maier, § 83 Rn 19.
[402] OLG Koblenz VersR 2002, 90 m.w.N.
[403] OLG Saarbrücken VersR 1998, 1499.
[404] LG Hannover r+s 1996, 478 = NJW-RR 1996, 1178.

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