Rz. 461

Ob und nach welcher Norm der Betriebsrat bei der Einführung von Ethikrichtlinien mitzubestimmen hat, ist im Hinblick auf jede einzelne Regelung gesondert zu beurteilen.[1239] Einschlägig ist regelmäßig § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Danach hat der Betriebsrat bei Fragen der Ordnung des Betriebs und des Verhaltens der Arbeitnehmer im Betrieb mitzubestimmen. Erfasst ist das betriebliche Zusammenleben und Zusammenwirken der Arbeitnehmer in Abgrenzung zum Arbeitsverhalten, also solchen Vorgaben, mit denen die Arbeitspflicht unmittelbar konkretisiert und abgefordert wird.[1240] Soweit eine Ethikrichtlinie das Ordnungsverhalten der Arbeitnehmer betrifft,[1241] setzt das Mitbestimmungsrecht dabei nicht voraus, dass sie verbindliche Verhaltensregeln aufstellt. Ausreichend ist, dass eine Regelung darauf gerichtet ist, das Verhalten der Arbeitnehmer im Betrieb zu steuern bzw. die Ordnung im Betrieb zu gewährleisten.[1242]

 

Rz. 462

§ 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist einschlägig, soweit Regelungen einer Ethikrichtlinie den Einsatz technischer Mittel vorsehen, die geeignet sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Mitbestimmungspflichtig sind daher insbesondere Regelungen, welche die Kontrolle von E-Mails, Datenbanken oder Festplatten der Mitarbeiter erlauben.[1243] Als weiteres Mitbestimmungsrecht kommt § 94 BetrVG in Betracht, wenn Ethikrichtlinien bestimmte Arbeitnehmergruppen in Gestalt eines Personalfragebogens zur Auskunft auffordern.[1244] § 95 BetrVG ist einschlägig, wenn eine Ethikrichtlinie Vorgaben zur Einstellung von Mitarbeitern macht.[1245]

 

Rz. 463

Kein Mitbestimmungsrecht besteht, wenn lediglich die Unternehmensphilosophie – also allgemeine ethisch-moralische Programmsätze oder Zielvorgaben – dargestellt bzw. Selbstverpflichtungen des Unternehmens benannt werden, die jeweils keine konkreten Verhaltensanforderungen der Mitarbeiter begründen.[1246] Auch soweit Ethikrichtlinien nur gesetzliche Bestimmungen wiederholen (etwa Verbot von Insiderhandel, Diskriminierungs- oder Korruptionsverbote), ohne diese inhaltlich zu erweitern, sind sie mitbestimmungsfrei.[1247] Dies gilt jedoch nicht für ausländische Gesetze.[1248]

 

Rz. 464

 

Exkurs

US-börsennotierte Unternehmen sind aufgrund von Sec. 406 des sog. "Sarbanes Oxley Act" aus dem Jahr 2002 verpflichtet, einen "Code of Ethics" einzuführen. Da US-amerikanische Gerichte die Vorschriften des Sarbanes Oxley Acts auch auf nicht börsennotierte Tochtergesellschaften von US-börsennotierten Unternehmen anwenden, stellen US-Konzerne häufig konzernweit verbindliche Compliance-Vorgaben auf. Die Beteiligungsrechte des Betriebsrates sind bei der Einführung in deutschen Gesellschaften ungeachtet der Vorgaben einer im Ausland ansässigen Konzerngesellschaft zu beachten.[1249]

 

Rz. 465

 

Praxistipp

Aus Gründen der Vereinheitlichung enthalten Betriebsvereinbarungen zu Ethikrichtlinien regelmäßig auch nicht-mitbestimmungspflichtige Regelungsgegenstände. Diese können dann nicht mehr durch Ausübung des Direktionsrechts anderweitig geregelt werden. Der Arbeitgeber muss die Betriebsvereinbarung ggf. kündigen und anschließend die mitbestimmungsfreien Regelungsgegenstände direktionsrechtlich adressieren oder arbeitsvertraglich regeln.[1250] Um dies zu vermeiden, wird teilweise eine strikte Trennung zwischen mitbestimmungspflichtigen und mitbestimmungsfreien Inhalten empfohlen,[1251] die allerdings eine umfassende Analyse der Reichweite der Mitbestimmungspflichten und eine sorgfältigen Abgrenzung voraussetzt und damit keine einheitliche Reglung ermöglicht.

[1240] BAG 27.1.2004 – 1 ABR 7/03, NZA 2004, 556, 557; vgl. zur Abgrenzung die Fallgruppen bei ErfK/Kania, § 87 BetrVG Rn 21 f.; dies betrifft beispielsweise den Umgang mit Firmeneigentum und IT, das Verhalten gegenüber Geschäftspartnern oder die Wahrung von Geschäftsgeheimnissen, vgl. hierzu Stück, ArbRAktuell 2015, 337.
[1241] Vgl. hierzu die Beispiele bei Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1508.
[1242] BAG 18.4.2000 – 1 ABR 22/99, NZA 2000, 1176, 1177; BAG 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248, 1254; ebenso ­GK-BetrVG/Wiese, § 87 BetrVG Rn 178.
[1243] Weitere Beispiele bei Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1509.
[1244] Reinhard, NZA 2016, 1233, 1237.
[1245] Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1509.
[1246] BAG 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248, 1253; Reinhard, NZA 2016, 1234.
[1247] Kort, NJW 2009, 129, 132; Reinhard, NZA 2016, 1233; weitere Beispiele bei Kempter/Steinat, NZA 2017, 1505, 1508.
[1249] BAG 22.7.2008 – 1 ABR 40/07, NZA 2008, 1248, 1254; Reinhard, NZA 2016, 1233, 1234.
[1250] Nur der mitbestimmungspflichtige Teil der Betriebsvereinbarung wirkt in diesem Fall gemäß § 77 Abs. 6 BetrVG nach.
[1251] Schröder/Schreier, BB 2010, 2565, 2566; Steffen/Stöhr, RdA 2017, 43, 47.

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